Der Anschlag - King, S: Anschlag
meisten lagen auf dem Boden. Auch sie waren alle zerfetzt.
»Johnny, du Mistkerl!« Sie wollte diese Worte kreischen, aber der Schock war zu groß. Sie konnte nur flüstern.
Sie wollte zum Kleiderschrank gehen, kam aber nicht weit. Ein Arm schlang sich von hinten um ihren Hals, und ein kleiner Kreis aus Stahl bohrte sich ihr in die Schläfe. »Beweg dich nicht, wehr dich nicht. Wenn doch, bring ich dich um.«
Sie versuchte sich loszureißen, und er schlug ihr mit dem kurzen Revolverlauf auf den Kopf. Gleichzeitig drückte der Arm um ihren Hals fester zu. Sie sah das Messer in der Faust am Ende des Arms, der sie würgte, und hörte auf, sich zu wehren. Der Angreifer war Johnny – sie erkannte ihn an der Stimme –, aber er war nicht wirklich Johnny. Er hatte sich verändert.
Ich hätte auf ihn hören sollen, dachte sie (und meinte damit mich). Warum habe ich nicht auf ihn gehört?
Er trieb sie – sein Arm weiter um ihren Hals – vor sich her ins Wohnzimmer, dann drehte er sie um und stieß sie aufs Sofa, auf das sie mit gespreizten Beinen plumpste.
»Zieh dein Kleid runter. Ich kann deinen Strumpfhalter sehen, Hure.«
Er trug eine Latzhose (schon das genügte, damit sie sich wie in einem Traum fühlte) und hatte sich die Haare bizarr orange-blond gefärbt. Sie hätte beinahe gelacht.
Er setzte sich auf das Fußkissen vor ihr. Der Revolver zielte auf ihre Körpermitte. »Wir rufen jetzt deinen Stecher an.«
»Ich weiß nicht, was …«
»Amberson. Der Kerl, mit dem du in dem Stundenhotel drüben in Kileen Salamiverstecken spielst. Ich weiß alles darüber. Ich hab euch lange beobachtet.«
»Johnny, wenn du jetzt gehst, hole ich nicht die Polizei. Ich versprech’s dir. Obwohl du meine Kleider ruiniert hast.«
»Hurenkleider«, sagte er wegwerfend.
»Ich … ich weiß seine Nummer nicht.«
Ihr Adressbuch, das seinen Platz üblicherweise neben der Schreibmaschine in ihrem kleinen Arbeitszimmer hatte, lag aufgeschlagen neben dem Telefon. »Ich schon. Sie steht auf der ersten Seite. Ich hab erst unter S wie Stecher nachgesehen, aber dort steht sie nicht. Das Gespräch melde ich an, damit du nicht auf die Idee kommst, etwas zu der Telefonistin zu sagen. Dann redest du mit ihm.«
»Das werde ich nicht, Johnny, nicht wenn du vorhast, ihm etwas zu tun.«
Er beugte sich vor. Seine bizarr orangeblonden Haare fielen ihm in die Augen, und er strich sie mit der Revolverhand zurück. Dann benutzte er die Messerhand, um den Hörer von der Gabel zu nehmen. Der Revolver zielte weiter fest auf ihre Körpermitte. »Die Sache ist folgende, Sadie«, sagte er in fast sachlichem Ton. »Ich werde einen von euch beiden umbringen. Der andere darf weiterleben. Du entscheidest, wen es treffen soll.«
Das war sein voller Ernst. Sie sah es auf seinem Gesicht. »Was … was ist, wenn er nicht zu Hause ist?«
Er schmunzelte über ihre Dummheit. »Dann stirbst du, Sadie.«
Sie muss gedacht haben: Ich werde auf Zeit spielen. Von Dallas nach Jodie sind es mindestens drei Stunden, bei starkem Verkehr auch mehr. Zeit genug, damit Johnny zur Vernunft kommen kann. Vielleicht. Oder dass er einen Augenblick unaufmerksam ist, damit ich ihm etwas an den Kopf werfen und aus dem Haus stürmen kann.
Ohne ins Adressbuch zu sehen (sein Zahlengedächtnis war schon immer nahezu perfekt gewesen), wählte er 0 und verlangte WEstbrook 7-5430. Hörte der Dame von der Vermittlung zu. Sagte: »Danke.«
Dann Stille. Irgendwo, über hundert Meilen weit nördlich, klingelte ein Telefon. Sie muss sich gefragt haben, wie oft Johnny es klingeln lassen würde, bevor er auflegte und sie in den Bauch schoss.
Dann veränderte sich seine Miene. Sie hellte sich auf, und er lächelte sogar etwas. Seine Zähne waren immer noch so weiß wie früher, fiel ihr auf. Kein Wunder, er hatte sie sich jeden Tag mindestens ein halbes Dutzend Mal geputzt. »Hallo, Mr. Amberson. Hier ist jemand, der Ihnen etwas zu sagen hat.«
Er stand von dem Sitzkissen auf und übergab Sadie den Hörer. Als sie ihn ans Ohr hob, stieß er blitzschnell wie eine zustoßende Schlange mit dem Messer zu und schlitzte ihr die Gesichtsseite auf.
4
»Was haben Sie ihr getan?«, brüllte ich. »Was haben Sie ihr getan, Sie Scheißkerl?«
»Still, Mr. Amberson.« Er klang amüsiert. Sadie kreischte nicht mehr, aber ich konnte sie schluchzen hören. »Sie wird’s überleben. Sie blutet ziemlich stark, aber das hört irgendwann auf. Er machte eine Pause, dann sprach er im Ton nüchterner
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