Der Anschlag - King, S: Anschlag
gekommen, als ich gerade reingegangen bin. Dieser Kerl muss Clayton gewesen sein. Der Tag war windig. Ein Windstoß hat ihm die Haare aus dem Gesicht geweht, und ich habe flüchtig die markant eingesunkenen Schläfen gesehen. Aber seine Haare … viel länger und komisch gefärbt … seine Cowboyklamotten … Scheiße.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde eben alt. Sollte Sadie was zustoßen, könnte ich mir das nie verzeihen.«
»Alles in Ordnung mit dir? Keine Brustschmerzen oder irgendwas in der Art?«
Er starrte mich an, als wäre ich verrückt. »Wollen wir hier stehen und über meinen Gesundheitszustand diskutieren, oder wollen wir versuchen, Sadie aus ihrer schlimmen Lage zu befreien?«
»Wir versuchen es nicht nur. Du gehst hintenrum zu ihrem Haus. Ich durchquere inzwischen den Garten hier, um durch die Hecke in Sadies zu gelangen.« Ich dachte dabei natürlich an das Haus der Dunnings in der Kossuth Street, aber noch während ich sprach, fiel mir ein, dass ja auch Sadies Garten von einer Hecke begrenzt wurde. Die hatte ich oft genug gesehen. »Du klopfst an und sagst etwas Fröhliches. So laut, dass ich es hören kann. Ich bin dann schon in der Küche.«
»Was ist, wenn die Hintertür abgeschlossen ist?«
»Sie hat unter der Treppe einen Schlüssel versteckt.«
»Okay.« Deke überlegte einen Augenblick lang mit gerunzelter Stirn, dann hob er den Kopf. »Ich werde ›Firma Avon, Schmortopfsonderzustellung‹ sagen. Und dabei den Topf hochheben, damit er ihn durchs Wohnzimmerfenster sehen kann. Genügt das?«
»Ja. Du sollst ihn nur ein paar Sekunden lang ablenken.«
»Schieß bloß nicht, wenn du Sadie treffen könntest! Nimm ihn dir selbst vor. Du bist ihm garantiert überlegen. Der Kerl, den ich gesehen habe, war dünn wie eine Bohnenstange.«
Wir wechselten einen trübseligen Blick. Ein Plan dieser Art konnte bei Rauchende Colts oder Maverick funktionieren, aber niemals im richtigen Leben. Im richtigen Leben kriegten manchmal die guten Kerle – oder Mädels – eine Abreibung. Oder ließen ihr Leben.
7
Der Garten hinter dem Haus am Apple Blossom Way war mit dem hinter dem Haus der Dunnings nicht ganz identisch, aber es gab Ähnlichkeiten. Beispielsweise gab es hier eine Hundehütte, über der allerdings nicht IHR KÖTER GEHÖRT HIERHER stand. Stattdessen standen über dem bogenförmigen Eingang in ungelenker Kinderschrift die Wörter BUTCH SEIN HAUSS . Aber es gab keine Kids, die Süßes oder Saures forderten. Falsche Jahreszeit.
Die Hecke sah jedoch genau gleich aus.
Ich zwängte mich hindurch und achtete kaum darauf, dass die steifen Zweige mir die Arme zerkratzten. Ich hetzte geduckt über Sadies Rasen und versuchte die Hintertür zu öffnen. Abgeschlossen. Als ich unter der Treppe nach dem Schlüssel tastete, war ich davon überzeugt, dass er nicht mehr dort liegen würde, weil die Vergangenheit zwar für Harmonie sorgte, aber auch unerbittlich war.
Der Schlüssel lag noch dort. Ich angelte ihn hervor, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn. Als der Riegel zurücksprang, war drinnen ein lautes Klicken zu hören. Ich erstarrte und wartete auf einen besorgten Ausruf. Er blieb aus. Im Wohnzimmer brannte Licht, aber ich hörte keine Stimmen. Vielleicht war Sadie schon tot und Clayton längst weg.
Gott, bitte nicht.
Aber als ich die Tür lautlos einen Spaltbreit öffnete, hörte ich ihn. So halblaut leiernd hörte er sich an wie Billy James Hargis auf Tranquilizern. Er erzählte ihr, was für eine Hure sie sei und wie sie sein Leben ruiniert habe. Vielleicht sprach er auch von der jungen Frau, die ihn zu berühren versucht hatte. Für Johnny Clayton waren sie alle gleich: sexhungrige Krankheitsträgerinnen. Die musste man in die Schranken weisen. Und dazu brauchte man den Besenstiel.
Ich streifte meine Schuhe ab und stellte sie aufs Linoleum. Die Lampe über der Spüle brannte. Ich überprüfte meinen Schatten, um sicherzugehen, dass er nicht vor mir her ins Wohnzimmer fiel. Ich zog den Revolver aus der Innentasche meines Sportsakkos und wollte damit neben der Wohnzimmertür stehend warten, bis eine fröhliche Stimme Firma Avon! sagte. Dann würde ich hineinstürmen.
Nur lief das alles nicht so ab. Als Deke etwas ausrief, klang er alles andere als fröhlich. Stattdessen hörte ich einen empörten Wutschrei. Und der kam nicht von draußen vor der Haustür, sondern von drinnen.
»O mein Gott! Sadie!«
Danach passierte alles sehr, sehr schnell.
8
Weil Clayton die Haustür aufgebrochen
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