Der Anschlag - King, S: Anschlag
hatte, ließ sie sich nicht mehr schließen. Sadie hatte das nicht bemerkt, aber Deke merkte es sofort. Statt anzuklopfen, stieß er die Tür auf und trat mit dem Schmortopf in beiden Händen ein. Clayton saß weiter auf dem Fußkissen und bedrohte Sadie mit dem Revolver, hatte aber das Messer hinter sich auf dem Boden abgelegt. Deke sagte später aus, er habe nicht einmal gewusst, dass Clayton ein Messer gehabt habe . Ich gehe sogar davon aus, dass er auch Claytons Revolver nicht wahrnahm. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf Sadie konzentriert. Die obere Hälfte ihrer blauen Bluse war jetzt schlammig rotbraun verfärbt. Ihr Arm und die Sofalehne, auf die er gestützt war, waren mit Blut bedeckt. Das Schlimmste war jedoch ihr Gesicht, das sie ihm zukehrte. Ihre linke Wange hing wie ein zerrissener Vorhang in zwei Lappen herab.
»O mein Gott! Sadie!« Aus seinem spontanen Aufschrei sprach das reine Entsetzen.
Clayton drehte sich zu ihm um und zog knurrend die Oberlippe hoch. Er hob seinen Revolver. Das sah ich, als ich aus der Küche ins Wohnzimmer gestürmt kam. Und ich sah, wie Sadie ein Bein streckte und mit aller Kraft gegen das Sitzkissen trat. Clayton drückte ab, aber der Schuss ging in die Zimmerdecke. Als er aufzuspringen wollte, warf Deke den Schmortopf. Der Deckel flog weg. Nudeln, Hackfleisch, grüne Paprika und Tomatensauce spritzten fächerförmig heraus. Der noch gut halb volle Schmortopf traf Claytons rechten Arm. Das Nudelgericht lief her aus. Der Revolver flog davon.
Ich sah das Blut. Ich sah Sadies zerfetztes Gesicht. Ich sah Clayton auf dem mit Blut befleckten Teppich kauern und hob meinen Revolver.
»Nein!«, kreischte Sadie. »Bitte nicht!«
Das brachte mich wie eine Ohrfeige zu Bewusstsein. Wenn ich ihn erschoss, würde die Polizei gegen mich ermitteln, selbst wenn ich in Notwehr gehandelt hätte. Meine Identität als George Amberson würde sich verflüchtigen – und mit ihr jegliche Chance, das Attentat im November zu verhindern. Und wie hätte ich schon groß auf Notwehr plädieren können. Der Mann vor mir war entwaffnet.
Wenigstens glaubte ich das, denn auch ich sah das Messer nicht. Es war unter dem umgekippten Sitzkissen verborgen. Selbst wenn es offen dagelegen hätte, hätte ich es übersehen können.
Ich steckte den Revolver in meine Gesäßtasche und riss Clayton hoch.
»Sie dürfen mich nicht schlagen!« Speichel flog von seinen Lippen. Seine Lider flatterten wie bei einem epileptischen Anfall. Seine Blase entleerte sich; ich hörte ihren Inhalt auf den Teppich platschen. »Ich bin geistesgestört, ich bin für nichts verantwortlich, mich kann niemand zur Rechenschaft ziehen, ich habe eine Bescheinigung, sie liegt im Handschuhfach meines Wagens, ich zeige sie Ih…«
Seine winselnde Stimme, das nackte Entsetzen auf seinem Gesicht, nachdem er nun entwaffnet war, seine orangeblonden Haare, die ihm strähnig ins Gesicht hingen, sogar der Geruch des Nudelgerichts … alle diese Dinge machten mich wütend. Aber schlimmer als alles andere war Sadie, die mit Blut bedeckt auf dem Sofa hockte. Ihre Haare hingen aus der aufgelösten Frisur herab und waren vor der linken Gesichtshälfte zu einem blutigen Knoten verklumpt. Sie würde ihre Narbe an derselben Stelle tragen wie Bobbi Jill, natürlich würde sie das, weil die Vergangenheit harmonisierte, aber Sadies Verletzung sah so viel schlimmer aus!
Ich schlug ihm mit der Rechten so fest ins Gesicht, dass ihm der Speichel aus dem linken Mundwinkel flog. »Du verdammter Scheißkerl, das ist für den Besen!«
Dann kam meine Linke dran. Diesmal flog ihm der Speichel aus dem rechten Mundwinkel, und ich genoss sein Heulen auf die verbitterte, unglückliche Weise, die nur für die schlimmsten Fälle reserviert war. In denen die Untat so groß war, dass es keine Wiedergutmachung geben konnte. Auch keine Vergebung. »Das ist für Sadie!«
Ich ballte die Faust. In irgendeiner anderen Welt brüllte Deke ins Telefon. Und rieb er sich dabei die Brust, wie Turcotte sich seine gerieben hatte? Nein. Zumindest noch nicht. In dieser gleichen anderen Welt stöhnte Sadie laut. »Und das ist für mich!«
Ich boxte ihm ins Gesicht, und – ich habe versprochen, die Wahrheit zu sagen, bis ins kleinste Detail – als sein Nasenbein zersplitterte, war sein gellender Aufschrei Musik in meinen Ohren. Ich ließ ihn los, und er sackte zusammen.
Dann wandte ich mich Sadie zu.
Sie versuchte aufzustehen, sank aber wieder zurück. Sie versuchte die Arme nach
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