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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sein Getrampel auf der wackeligen Treppe ließ das ganze Haus erzittern.
    Über mir hörte ich erschrockene Stimmen: gedämpft, aber eindeutig ratlos. Schritte hasteten über meine Decke und ließen die Deckenlampe im Wohnzimmer klirren. Fürchteten die Oswalds, dass die Dallas Police gekommen war, um eine Verhaftung vorzunehmen? Oder vielleicht einer der FBI -Agenten, die Lee in ihrer Zeit in der Mercedes Street überwacht hatten? Ich hoffte, dass dem kleinen Dreckskerl das Herz bis zum Hals schlug, als müsste er daran ersticken.
    Dann klopfte jemand energisch an die obere Wohnungstür, und de Mohrenschildt rief jovial: »Aufmachen, Lee! Mach auf, du alter Heide!«
    Die Tür wurde geöffnet. Ich setzte meinen Kopfhörer auf, hörte aber nichts. Als ich eben das Richtmikrofon in der Tupperware-Schale holen wollte, knipste Lee oder Marina die verwanzte Lampe an. Die Wanze funktionierte wieder – zumindest vorläufig.
    »… für das Baby«, sagte Jeanne gerade.
    »Oh, danke!«, rief Marina aus. »Danke sehr viel, Jeanne, so freundlich!«
    »Steh nicht bloß da, Genosse, hol uns was zu trinken!«, verlangte de Mohrenschildt. Er klang, als hätte er schon etwas intus.
    »Ich habe nur Tee«, sagte Lee verdrießlich. Er schien noch halb zu schlafen.
    »Tee ist in Ordnung. Ich habe hier was in der Tasche, was ihm auf die Beine helfen wird.« Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie er dabei zwinkerte.
    Marina und Jeanne verfielen ins Russische. Lee und de Mohrenschildt – ihre schwereren Schritte waren unverkennbar – entfernten sich in Richtung Küche, in der ich sie nicht mehr würde belauschen können. Die Frauen standen neben der Lampe; ihre Stimmen würden übertönen, was die Männer redeten.
    Dann sagte Jeanne auf englisch: »Du meine Güte, ist das ein Gewehr? «
    Danach schien alles stillzustehen – scheinbar auch mein Herz.
    Marina lachte. Es war ein perlendes, kleines Cocktailparty Lachen, hahaha, total künstlich. »Er verlieren Job, wir haben keine Geld, und diese verrückte Mensch kaufen Gewehr. Ich sagen: ›Stell in Schrank, verrückte Kerl, damit es nicht schadet meine Schwangerschaft.‹«
    »Ich wollte ein bisschen Zielschießen üben, das ist alles«, sagte Lee. »Bei den Marines war ich ziemlich gut. Hab nie eine Fahrkarte geschossen.«
    Erneutes Schweigen. Es schien endlos lange anzuhalten. Dann dröhnte de Mohrenschildts kumpelhaftes Lachen durch den Raum. »Komm, versuch nicht, einen Bescheißer zu bescheißen! Wieso hast du ihn verfehlt, Lee?«
    »Ich weiß nicht, wovon zum Teufel du redest.«
    »General Walker, mein Junge! Irgendjemand hätte sein Negerhasserhirn beinahe über die Wand des Büros in seinem Haus am Turtle Creek Boulevard verteilt. Willst du behaupten, davon nichts zu wissen?«
    »Ich hab in letzter Zeit keine Zeitung mehr gelesen.«
    »Ach«, sagte Jeanne. »Sehe ich nicht den Times Herald auf dem Hocker da liegen?«
    »Ich lese keine Nachrichten, mein ich. Zu deprimierend. Nur die Witzseiten und die Stellenangebote. Der Große Bruder sagt, dass ich einen Job finden muss, sonst verhungert das Baby.«
    »Du warst also nicht der, der diesen Schuss aus dem Hinterhalt abgegeben hat, was?«, sagte de Mohrenschildt.
    Er zog Lee auf. Köderte ihn.
    Die Frage war, weshalb. Weil de Mohrenschildt sich in seinen wildesten Träumen nicht vorstellen konnte, dass eine Niete wie Ozzie Rabbit tatsächlich der Schütze von Mittwochabend gewesen war … oder weil er sich wünschte, dass Lee der Attentäter war? Ich hätte viel dafür gegeben, wenn die Frauen nicht da gewesen wären. Hätte ich ein Gespräch unter Männern, das Lee und sein spezieller Amigo führten, belauschen können, wären meine Fragen vielleicht beantwortet worden. Aber so hatte ich weiterhin keine Gewissheit.
    »Glaubst du, ich wär so verrückt, auf jemand zu schießen, während J. Edgar Hoover mir über die Schulter sieht?« Lee schien bemüht zu sein, sich de Mohrenschildts Gemüt anzupassen, Scherzbold zu sein statt Langweiler, aber das gelang ihm nicht sehr gut.
    »Niemand glaubt, dass du auf irgendwen geschossen hast, Lee«, sagte Jeanne besänftigend. »Du musst mir nur versprechen, einen besseren Platz für das Gewehr zu finden, wenn die Kleine laufen lernt.«
    Darauf antwortete Marina auf russisch, aber ich hatte June in letzter Zeit mehrmals im Garten gesehen und konnte mir deshalb denken, was ihre Mutter sagte: Die Kleine könne bereits laufen.
    »June wird sich über den Hasen freuen, aber wir feiern Ostern

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