Der Anschlag - King, S: Anschlag
oder nicht – ähnlich erging. Aber Miz Ellie und Jo Peet aus dem Fachbereich Hauswirtschaftslehre hatten eine Gruppe von Freiwilligen organisiert, die den ganzen Tag vor Sadies Rückkehr damit verbracht hatte, im Haus zu putzen, zu bohnern und jegliche Spur von Claytons Obszönitäten von den Wänden zu entfernen. Der Wohnzimmerteppich war abtransportiert und ersetzt worden. Der neue Teppich war industriegrau – keine sehr aufregende Farbe, aber vermutlich eine gute Wahl; graue Dinge weckten selten Erinnerungen. Auch Sadies zerschnittene Kleidung war weggeschafft und durch neue Sachen ersetzt worden.
Sadie äußerte sich mit keinem Wort zu dem neuen Teppich und der anderen Kleidung. Ich weiß nicht einmal, ob sie die Veränderungen überhaupt bemerkte.
12
Ich verbrachte meine Tage dort, kochte für sie, arbeitete in ihrem kleinen Garten (der in einem weiteren heißen Sommer in Mitteltexas dahinsiechen, aber nicht ganz sterben würde) und las ihr Bleak House von Dickens vor. Auch vertieften wir uns in mehrere Seifenopern im Nachmittagsprogramm: The Secret Storm, Young Doctor Malone, From These Roots und, unsere Lieblingsserie, The Edge of Night.
Sadie verlegte ihren Mittelscheitel nach rechts und trug nun eine Veronica-Lake-Frisur, die ihre Narben, wenn der Verband eines Tages entfernt war, größtenteils verdecken würde. Allerdings würde dieser Zustand nicht lange anhalten; die erste plastische Operation – bei der vier Ärzte zusammenarbeiten würden – war für den 5. August angesetzt. Ellerton sagte, dass mindestens vier weitere folgen würden.
Nachdem Sadie und ich zu Abend gegessen hatten (wobei sie selten mehr als ein paar Bissen aß), fuhr ich zu Dekes Haus zurück, weil Kleinstädte bekanntlich große Augen und zudem geschwätzige Mundwerke hatten. Es war besser, wenn diese großen Augen meinen Wagen nach Sonnenuntergang in Dekes Einfahrt stehen sahen. Sobald es dunkel war, ging ich die zwei Meilen zu Sadies Haus zurück, wo ich bis fünf Uhr morgens auf dem neuen Bettsofa schlief. Ununterbrochene Nachtruhe gab es für mich kaum, denn die Nächte, in denen Sadie mich nicht weckte, indem sie sich schreiend und um sich schlagend aus Albträumen befreite, waren selten. Tagsüber war Johnny Clayton tot. Nach Einbruch der Dunkelheit bedrohte er Sadie weiter mit dem Revolver und seinem Messer.
Ich ging dann zu ihr und beruhigte sie, so gut es ging. Manchmal schleppte sie sich in meiner Gegenwart ins Wohnzimmer, um eine zu rauchen, und schlurfte dann wieder zum Bett, wobei sie ihr Haar immer schützend auf die schlimme Gesichtshälfte drückte. Den Verband ließ sie mich nicht wechseln. Das machte sie bei geschlossener Tür im Bad immer selbst.
Nach einem besonders schlimmen Albtraum fand ich Sadie, wie sie in ihrem Zimmer nackt und schluchzend neben dem Bett stand. Sie war erschreckend abgemagert. Ihr abgestreiftes Nachthemd bildete einen Ring um ihre Beine. Sie hörte mich kommen und drehte sich zu mir um, einen Arm über die Brüste gelegt, die andere Hand vor den Schritt gehalten. Ihre Haare fielen auf die rechte Schulter zurück, wo sie eigentlich hingehörten, sodass ich die wulstigen Narben, die groben Stiche und das eingesunkene, faltige Fleisch über dem Wangenknochen sah.
»Raus!«, kreischte sie. »Sieh mich nicht so an, kannst du nicht einfach verschwinden?«
»Sadie, was hast du? Warum hast du dein Nachthemd ausgezogen? Was ist passiert?«
»Ich hab ins Bett gemacht, okay? Ich muss es neu beziehen, also verschwinde bitte, und lass mich was anziehen! «
Ich trat ans Fußende ihres Betts, griff nach der dort zusammengerollt liegenden Tagesdecke und wickelte sie um Sadie. Als ich eine Ecke hochschlug, sodass sie eine Art Stehkragen bildete, der ihre Wange verdeckte, beruhigte sie sich wieder.
»Geh ins Wohnzimmer, aber pass auf, damit du nicht über die Decke stolperst. Rauch eine Zigarette. Ich beziehe das Bett inzwischen neu.«
»Nein, Jake, es ist schmutzig.«
Ich fasste sie an den Schultern. »Das hätte Clayton gesagt, aber der ist jetzt tot. Das bisschen Pipi ist nicht der Rede wert.«
»Bist du dir sicher?«
»Ja. Aber bevor du gehst …«
Ich klappte den provisorischen Stehkragen herab. Sadie zuckte leicht zusammen und schloss die Augen, hielt jedoch still. Dass sie sich das gefallen ließ, war ein Fortschritt, fand ich. Ich küsste das schlaffe Fleisch, das ihre Wange gewesen war, und klappte die Tagesdecke dann wieder hoch, um es zu verbergen.
»Wie kannst du nur?«,
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