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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Leichnam ist 1981 exhumiert worden, damit ein DNA -Test vorgenommen werden konnte. Er war’s, das steht fest. Dieser bösartige kleine Scheißer.« Al machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Ich hab ihn selbst kennengelernt, weißt du.«
    Ich starrte ihn an. »Willst du mich verarschen?«
    »Von wegen. Er hat mich angesprochen. Das war in Fort Worth. Er und Marina – seine Frau, eine Russin – haben dort Oswalds Bruder besucht. Falls Lee jemals einen Menschen geliebt hat, war das sein Bruder Bobby. Ich habe an dem Lattenzaun um Bobby Oswalds Grundstück gestanden, rauchend an einen Telefonmast gelehnt und so getan, als läse ich die Zeitung. Mein Herz hat gehämmert, als schlüge es zweihundertmal in der Minute. Lee und Marina sind gemeinsam rausgekommen. Sie hat ihre Tochter June getragen – ein niedliches kleines Ding, noch kein Jahr alt. Die Kleine hat geschlafen. Ozzie hatte eine Khakihose und ein Ivy-League-Hemd mit Button-down-Kragen an, der ziemlich ausgefranst war. Die Hose hatte eine messer scharfe Bügelfalte, aber sie war schmutzig. Den Bürstenhaarschnitt aus seiner Marine- Corps-Zeit hatte er aufgegeben, aber seine Haare waren immer noch sehr kurz. Marina … Himmel, sie ist echt umwerfend! Dunkle Haare, leuchtend blaue Augen, makelloser Teint. Sieht wie ein gottverdammter Filmstar aus. Wenn du die Aufgabe übernimmst, wirst du sie selbst sehen. Als sie den Gehsteig entlanggekommen sind, hat sie auf russisch etwas zu ihm gesagt. Er hat ihr geantwortet und dabei gelächelt, aber dann hat er ihr einen derben Stoß versetzt. Sie wäre fast hingefallen. Die Kleine ist aufgewacht und hat angefangen zu weinen. Und Oswald hat die ganze Zeit weitergelächelt.«
    »Das hast du gesehen. Mit eigenen Augen. Du hast ihn gesehen.« Trotz meiner eigenen Reise in die Vergangenheit war ich mindestens halb davon überzeugt, dass das Ganze eine Wahnvorstellung oder eine glatte Lüge war.
    »Das habe ich. Sie ist durchs Gartentor herausgekommen, hat June schützend an sich gedrückt und ist mit gesenktem Kopf an mir vorbeigegangen. Als ob ich nicht da wäre. Aber er hat sich vor mir aufgebaut – dicht genug, dass ich das Old Spice riechen konnte, mit dem er seinen Schweißgeruch zu überdecken versucht hat. Seine ganze Nase war voller Mitesser. An seiner Kleidung – und an seinen Schuhen, die zerschrammt und hinten eingerissen waren – konnte man sehen, dass er bettelarm war, aber ein Blick in sein Gesicht genügte, um einem zu zeigen, dass das keine Rolle spielte. Nicht für ihn. Er hielt sich für einen tollen Kerl.«
    Al überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.
    »Nein, das nehme ich zurück. Er wusste, dass er ein toller Kerl war. Er brauchte nur noch abzuwarten, bis auch der Rest der Welt das erkannte. Da stand er also dicht vor mir … ich hätte die Hände ausstrecken und ihn erwürgen können … glaub bloß nicht, dass mir das nicht durch den Kopf gegangen ist …«
    »Warum hast du’s nicht getan? Oder ihn erschossen, um’s kurz zu machen?«
    »Vor seiner Frau und seinem Baby? Könntest du das, Jake?«
    Darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken. »Vermutlich nicht.«
    »Ich auch nicht. Außerdem hatte ich weitere Gründe. Einer davon war meine Aversion gegen Staatsgefängnisse … oder den elektrischen Stuhl. Denk dran, wir waren auf offener Straße.«
    »Ah.«
    »Ah ist richtig. Auf seinem Gesicht stand weiter das kleine Lächeln, als er sich vor mir aufgebaut hat. Arrogant und duckmäuserisch zugleich. Dieses Lächeln ist auf fast allen Fotos zu sehen, die jemals von ihm gemacht wurden. Er trägt es auf dem Polizeirevier in Dallas zur Schau, nachdem er verhaftet wurde, weil er den Präsidenten und einen Motorradpolizisten, der ihm auf der Flucht in die Quere gekommen war, erschossen hatte. Er sagt zu mir: ›Was interessiert Sie hier, Sir?‹ Ich sage: ›Nichts, Kumpel.‹ Und er sagt: ›Dann kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß.‹
    Marina hat ungefähr zehn Schritte weiter auf ihn gewartet und sich inzwischen bemüht, das Baby wieder in den Schlaf zu lullen. Obwohl es ein höllisch heißer Tag war, trug sie ein Kopftuch, wie es damals noch viele Russinnen getan haben. Er ist zu ihr gegangen, hat sie am Ellbogen gepackt – wie ein grober Polizeibeamter, nicht wie ein Ehemann – und sie aufgefordert: ›Idi! Idi!‹ Sie hat daraufhin etwas zu ihm gesagt, ihn vielleicht gefragt, ob er die Kleine nicht auch einmal tragen wolle. Das vermute ich wenigs tens. Aber er hat sie bloß

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