Der Anschlag - King, S: Anschlag
kannte ich allerdings nicht. »Was ist Kresge’s?«
»Die jetzt als K-Mart bekannte Ladenkette. Aber lass den Umschlag, kümmere dich nur um den Inhalt. Hier findest du den gesamten Zeitablauf bezüglich Oswalds Tun und sämtliche Beweise, die ich gegen ihn zusammengetragen habe … Obwohl du die eigentlich nicht zu lesen brauchst, wenn du das tust, was ich dir vorschlage, nämlich den kleinen Scheißer im April 1963 zu stoppen – über ein halbes Jahr vor Kennedys Besuch in Dallas.«
»Wieso im April?«
»Weil damals jemand versucht hat, General Edwin Walker zu erschießen … Nur war er kein General mehr. Er ist 1961 von JFK persönlich kassiert worden. General Eddie hatte segregationistische Literatur an Untergebene verteilt und ihnen befohlen, das Zeug zu lesen.«
»Und Oswald hat versucht, ihn zu erschießen?«
»Davon musst du dich überzeugen. Das verdammte Gewehr war identisch, daran besteht kein Zweifel, das hat die ballistische Untersuchung bewiesen. Ich habe darauf gewartet, ihn schießen zu sehen. Ich konnte es mir leisten, nicht einzugreifen, weil Oswald damals danebengeschossen hat. Die Kugel ist durch eine Sprosse von Walkers Küchenfenster abgelenkt worden. Nicht erheblich, aber ausreichend. Das Geschoss hat dem ehemaligen General buchstäblich einen neuen Scheitel gezogen, und herumfliegende Holzsplitter verletzten ihn leicht am Arm. Das war seine einzige Wunde. Ich sage nicht, dass der Mann den Tod verdient hatte – nur sehr wenige Männer sind so böse, dass sie’s verdienen, aus einem Hinterhalt erschossen zu werden –, aber ich hätte Walker jederzeit gern gegen Kennedy ein getauscht.«
Ich achtete kaum mehr darauf, was Al sagte. Stattdessen blätterte ich sein Oswald-Buch durch, dessen Seiten eng mit Notizen beschrieben waren. Anfangs waren sie völlig leserlich geschrieben, aber gegen Ende wurde seine Schrift stetig unleserlicher. Die letzten Seiten waren mit dem Gekritzel eines Todkranken bedeckt. Ich klappte das Notizbuch zu und sagte: »Wären deine Zweifel beseitigt gewesen, wenn eindeutig festgestanden hätte, dass Oswald auf General Walker geschossen hat?«
»Ja. Ich wollte ganz sichergehen, dass er zu so etwas imstande ist. Ozzie ist ein übler Kerl, Jake – eine Ratte, wie die Leute 1958 sagen würden –, aber dass jemand seine Frau schlägt und sie praktisch als Gefangene hält, weil sie kein Englisch kann, heißt nicht, dass er auch zu einem Mord fähig ist. Und dazu kommt noch etwas andres: Selbst ohne den Krebs hätte ich vielleicht keine zweite Chance bekommen, wenn ich Oswald umgelegt hätte und der Präsident trotzdem von irgendeinem anderen Kerl erschossen worden wäre. Ist man erst mal über sechzig, ist die Garantie so ziemlich abgelaufen, falls du weißt, was ich damit meine.«
»Hättest du ihn wirklich ermorden müssen? Hättest du … ich weiß nicht … ihm nicht irgendwas anhängen können?«
»Vielleicht, aber da war ich schon krank. Ich weiß nicht mal, ob ich’s als gesunder Mann geschafft hätte. Insgesamt kam es mir einfacher vor, ihn umzulegen, sobald ich mir meiner Sache sicher war. Wie man eine Wespe erschlägt, bevor sie einen stechen kann.«
Ich schwieg nachdenklich. Auf der Wanduhr war es halb elf. Al hatte eingangs behauptet, er werde wohl bis Mitternacht durchhalten, aber ich brauchte ihn mir nur anzusehen, um zu wissen, dass das übertrieben optimistisch gewesen war.
Ich nahm unsere Gläser mit in die Küche, spülte sie ab und stellte sie auf die Abtropffläche. Hinter meiner Stirn schien der Saugrüssel eines Tornados am Werk zu sein. Statt Kühen und Zäu nen und Papierfetzen saugte er kreiselnd Namen ein: Lee Oswald, Bobby Oswald, Marina Oswald, Edwin Walker, Fred Hampton, Patty Hearst. Dieser Mahlstrom enthielt auch glitzernde Akronyme, die in ihm wie abgerissene verchromte Kühlerfiguren von Luxuswagen kreisten: JFK , RFK , MLK , SLA . Der Wirbelsturm hatte sogar eine Stimme, die mit ausdruckslosem, gedehntem Südstaatenakzent immer und immer wieder zwei russische Wörter sagte: Idi, suka.
Geh, Schlampe.
5
»Bis wann muss ich mich entscheiden?«, fragte ich.
»Ziemlich bald. Der Diner kommt Ende des Monats weg. Ich habe mit einem Anwalt besprochen, wie sich etwas Zeit schinden ließe – durch ein Gerichtsverfahren oder dergleichen –, aber er war nicht sehr optimistisch. Du weißt, womit Möbelgeschäfte manchmal werben: Mietvertrag gekündigt, alles muss raus!«
»Klar.«
»In neun von zehn Fällen ist das nur ein Werbegag,
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