Der Anschlag - King, S: Anschlag
Holzkohlenglut aufzuflammen, auf die man Benzin kippte. Ich bekam den Revolvergriff mit den Fingerspitzen zu fassen, drehte ihn, steckte den Daumen in den Abzugsbügel und zog die Waffe herunter. Der Revolver prallte vom Fußboden ab und landete mitten im Schlafzimmer.
Wahrscheinlich nicht mal geladen. Ich bückte mich, um ihn aufzuheben. Mein linkes Knie gab mit einem Aufschrei nach. Ich schlug hin, und die Schmerzen in meinem Unterleib flammten wieder auf. Aber ich bekam den Revolver zu fassen und inspizierte die Trommel. Er war doch geladen. Sämtliche Kammern. Ich steckte ihn ein und versuchte in die Küche zurückzukriechen, aber das Knie tat zu weh. Und die Kopfschmerzen wurden schlim mer. Sie saßen in ihrer kleinen Höhle oberhalb des Genicks und breiteten ihre finsteren Tentakel aus.
Mit Schwimmbewegungen kämpfte ich mich bäuchlings bis zum Bett. Als ich dort ankam, schaffte ich es, mich mithilfe des rechten Arms und des rechten Beins wieder aufzurichten. Das linke Bein trug mich zwar, aber ich konnte das Knie kaum noch beugen. Ich musste so schnell wie möglich weg von hier.
Ich sah bestimmt aus wie Chester, der hinkende Hilfssheriff in Rauchende Colts, als ich mich aus dem Schlafzimmer, weiter durch die Küche bis hin zur Wohnungstür schleppte. Ich kann mich sogar erinnern, gedacht zu haben: Mr. Dillon, Mr. Dillon, unten im Long Branch Saloon gibt’s Ärger!
Ich überquerte die Veranda, klammerte mich mit der rechten Hand am Geländer fest und hüpfte einbeinig auf den Gehsteig hinunter. Es waren nur vier Stufen, aber meine Kopfschmerzen wurden mit jeder Stufe schlimmer. Mein Blickfeld schien sich allmählich zu verengen, was nicht gut sein konnte. Ich versuchte den Kopf zu drehen, um meinen Chevrolet sehen zu können, aber mein Hals wollte nicht mitmachen. Stattdessen schaffte ich nur eine schwerfällige Körperdrehung, und als ich den Wagen in Sicht hatte, wurde mir klar, dass ich unmöglich fahren konnte. Es war schon ausgeschlossen, dass ich die Beifahrertür öffnete und den Revolver im Handschuhfach verstaute: Dazu hätte ich mich hinunterbeugen müssen, wodurch die Schmerzen und die Hitze in meiner Seite wieder explodiert wären.
Ich fummelte den Police Special aus der Tasche und hinkte zur Veranda zurück. Am Geländer lehnend warf ich die Waffe mit einem Unterhandschwung unter die Stufen. Das würde genügen müssen. Ich richtete mich wieder auf und kehrte langsam auf den Gehsteig zurück. Babyschritte, ermahnte ich mich. Kleine Babyschritte.
Zwei Jungen kamen auf Fahrrädern herangesegelt. Ich versuchte ihnen zu sagen, dass ich Hilfe brauchte, aber zwischen meinen geschwollenen Lippen kam nur ein trockenes Hhhahhhh hervor. Sie wechselten einen Blick, strampelten schneller und umkurvten mich links und rechts.
Ich wandte mich nach rechts (mein geschwollenes Knie suggerierte mir, dass eine Linksdrehung die schlechteste Idee der Welt wäre) und torkelte den Gehsteig entlang. Mein Gesichtsfeld verengte sich weiter; ich schien meine Umgebung jetzt durch eine Schießscharte oder aus einem Tunnel heraus wahrzunehmen. Einen Augenblick lang ließ mich das an den umgestürzten Fabrikkamin des Eisenwerks Kitchener damals in Derry denken.
Sieh zu, dass du zur Haines Avenue kommst, sagte ich mir. Dort herrscht Verkehr. So weit musst du mindestens kommen.
Aber bewegte ich mich auf die Haines Avenue zu oder von ihr weg? Es fiel mir einfach nicht mehr ein. Die sichtbare Welt war für mich auf einen klar definierten Kreis mit ungefähr fünfzehn Zentimetern Durchmesser reduziert. Mein Kopf drohte zu platzen; in meinen Eingeweiden wütete ein Großbrand. Als ich fiel, schien mein Sturz in Zeitlupe abzulaufen, und der Gehsteig war weich wie ein Federkissen.
Bevor ich bewusstlos wurde, stieß mich etwas an. Irgendetwas Hartes, Metallisches. Acht oder zehn Meilen über mir sagte eine rostige Stimme: »Sie! Sie, junger Mann! Was ist mit Ihnen los?«
Ich wälzte mich zur Seite. Das kostete mich zwar die letzte Kraft, aber ich schaffte es. Über mir stand die alte Frau, für die ich ein Feigling war, weil ich mich geweigert hatte, mich am Tag des Reißverschlusses in den Streit zwischen Lee und Marina einzumischen. Dieser Tag hätte heute sein können, denn sie trug wieder – Augusthitze hin oder her – das rosa Flanellnachthemd und ihre Steppjacke. Vielleicht weil der verbliebene Rest meines Verstands sich immer noch mit Boxen beschäftigte, erinnerten ihre gesträub ten Haare mich diesmal an Don King
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