Der Anschlag - King, S: Anschlag
zusammenleben. Das neue Leben wird Dir anfangs ungewohnt erscheinen, aber ich glaube, dass Du Dich daran gewöhnen wirst. Ich werde Dir dabei helfen. Ich liebe Dich, deshalb kann ich es nicht zulassen, dass Du in diese Sache verwickelt wirst.
Bitte glaub mir, bitte hab Geduld und bitte sei nicht überrascht, wenn Du meinen Namen in den Zeitungen liest und mein Bild siehst – wenn alles wie geplant klappt, dürfte dieser Fall eintreten. Versuche vor allem nicht, mich zu finden.
Ich liebe Dich
Jake
PS: Das hier solltest Du verbrennen.
16
Ich packte mein Leben als George Amberson in den Kofferraum meines Heckflossen-Chevys, befestigte an der Haustür eine Mitteilung an die Krankengymnastin und fuhr dann bedrückt und krank vor Heimweh davon. Sadie fuhr in Jodie noch früher los, als ich nachts vermutet hatte – schon vor Tagesanbruch. Ich verließ das Eden Fallows um neun Uhr. Sie parkte ihren Käfer um Viertel nach neun am Randstein, las die Mitteilung, dass die Krankengymnastik leider ausfallen müsse, und schloss mit dem Schlüssel auf, den ich ihr gegeben hatte. An der Walze meiner Schreibmaschine lehnte ein Umschlag mit ihrem Namen. Sie riss ihn auf, las meinen kurzen Brief, setzte sich aufs Sofa vor dem Fernseher, dessen Bildschirm schwarz war, und weinte. Als dann die Krankengymnastin kam, weinte sie immer noch … aber sie hatte meine Aufforderung befolgt und die Mitteilung verbrannt.
17
Unter dem bedeckten Himmel lag die Mercedes Street überwiegend still da. Die Springseilmädchen waren nirgends zu sehen – sie würden in der Schule sein, vielleicht gespannt zuhören, während ihre Lehrerin ihnen vom bevorstehenden Besuch des Präsidenten erzählte –, aber an dem wackeligen Verandageländer hing wie erwartet wieder das Zu-vermieten-Schild. Darunter stand eine Telefonnummer. Ich fuhr auf den Parkplatz des Montgomery-Ward-Lagerhauses und rief von der Telefonzelle in der Nähe der Ladebuchten aus die Nummer an. Ich bezweifelte nicht, dass der Mann, der sich mit einem lakonischen »Ja, Merritt hier« meldete, der gleiche Kerl war, der die Nummer 2703 an Lee und Marina vermietet hatte. Ich sah seinen Stetson und die protzigen, bestickten Stiefel noch vor mir.
Als ich ihm erzählte, was ich wolle, lachte er ungläubig. »Ich vermiete nicht wochenweise. Das ist ein schönes Haus, Partner.«
»Es ist eine Bruchbude«, sagte ich. »Ich war drin. Ich weiß, wovon ich rede.«
»Jetzt hören Sie mal zu …«
»Nein, Sie hören zu. Ich gebe Ihnen fünfzig Dollar, nur um übers Wochenende dort hausen zu dürfen. Das ist fast eine ganze Monatsmiete, und am Montag können Sie Ihr Schild wieder an die Veranda hängen.«
»Wieso wollen Sie …«
»Weil Kennedy kommt und sämtliche Hotels in Dallas/Fort Worth ausgebucht sind. Ich bin weit gefahren, um ihn zu sehen, und habe keine Lust, im Fair Park oder auf der Dealey Plaza zu campieren.«
Ich hörte ein Feuerzeug klicken, während Merritt sich die Sache durch den Kopf gehen ließ.
»Die Zeit läuft ab, Kumpel«, sagte ich. »Tick-tack.«
»Wie heißen Sie, Partner?«
»George Amberson.« Ich wünschte mir fast, ich wäre eingezogen, ohne überhaupt anzurufen. Das hätte ich auch beinahe getan, aber einen Besuch der hiesigen Polizei konnte ich am allerwenigsten brauchen. Ich bezweifelte, dass die Anwohner einer Straße, die manche Feiertage damit begingen, dass sie Hühner in die Luft jagten, sich viel um Hausbesetzer scheren würden, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Ich schlich nicht mehr um das Kartenhaus herum; ich lebte darin.
»Wir treffen uns in einer halben bis Dreiviertelstunde vor dem Haus.«
»Ich bin drinnen«, sagte ich. »Ich habe einen Schlüssel.«
Erneutes Schweigen. Dann: »Wo haben Sie den her?«
Ich wollte Ivy nicht verpetzen, auch wenn sie noch in Mozelle war. »Von Lee. Lee Oswald. Er hat ihn mir mal gegeben, damit ich reingehen und seine Blumen gießen konnte.«
»Der kleine Scheißer hatte Blumen? «
Ich hängte ein und fuhr zur Nummer 2703 zurück. Mein Vermieter auf Zeit kam, vielleicht getrieben von seiner Neugier, keine Viertelstunde später mit seinem Chrysler angefahren. Er trug wieder den Stetson und die protzigen Stiefel. Ich saß im Wohnzimmer und hörte den streitbaren Geistern von noch lebenden Menschen zu. Sie hatten eine Menge zu sagen.
Merritt wollte mich über Oswald aushorchen – ob er wirklich ein verdammter »Kommanist« sei. Nein, sagte ich, nur ein waschechter Louisiana-Knabe, der in einem Gebäude
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