Der Anschlag - King, S: Anschlag
weitere Panne ereilte, waren wir erledigt.
Sie versuchte keine Stunts, aber sie fuhr beherzt. Als vor uns ein umgestürzter Baum die Straße blockierte (natürlich tat er das), holperte sie über den Randstein und fuhr ein Stück weit auf dem Gehsteig, um daran vorbeizukommen. Wir schafften es bis zur Kreuzung von North Record und Havermill Street. Dort kamen wir nicht weiter, weil die beiden letzten Blocks der Havermill Street bis zur Kreuzung mit der Elm Street nicht mehr existierten. Sie waren in einen Parkplatz umgewandelt worden. Ein Mann mit einer orangeroten Flagge winkte uns zu sich heran.
»Fünf Dollar«, sagte er. »Zu Fuß nur zwei Minuten zur Main Street, ihr habt also reichlich Zeit.« Das sagte er allerdings mit einem zweifelnden Blick auf meine Krücke.
»Ich bin echt pleite«, sagte Sadie. »Das war nicht gelogen.«
Ich zückte meine Geldbörse und gab dem Mann einen Fünfer. »Hinter dem Chrysler dort drüben«, sagte er. »Hübsch dicht ranfahren.«
Sadie warf ihm den Schlüssel zu. » Sie fahren hübsch dicht ran. Komm jetzt, Schatz.«
»He, nicht dorthin!«, schrie der Parkwächter. »Da geht’s zur Elm! Sie wollen rüber zur Main! Dort kommt er vorbei!«
»Wir wissen, was wir tun!«, rief Sadie. Ich hoffte, dass sie recht hatte. Mit Sadie voraus schlängelten wir uns zwischen dicht geparkten Autos hindurch. Ich verdrehte den Oberkörper und fuchtelte mit meiner Krücke, darum bemüht, keine Außenspiegel zu rammen und mit ihr Schritt zu halten. Jetzt konnten wir auf den Ladegleisen hinter dem Schulbuchlager Rangierloks und scheppernde Güterwagen hören.
»Jake, wir hinterlassen eine verdammt auffällige Fährte.«
»Ich weiß. Ich habe einen Plan.« Eine gigantische Übertreibung, die aber gut klang.
Wir erreichten die Elm Street, und ich zeigte auf das zwei Seitenstraßen entfernte Gebäude auf der anderen Seite. »Da! Dort ist er.«
Sie betrachtete den würfelförmigen Klinkerbau mit seinen starr blickenden Fenstern, dann wandte sie mir ihr Gesicht zu. Die Augen hatte sie vor Verzweiflung weit aufgerissen. Ich stellte mit irgendwie nüchternem Interesse fest, dass sie am Hals eine Gänsehaut mit großen weißen Pickeln bekommen hatte. »Jake, es ist grauenerregend! «
»Ich weiß.«
»Aber … was stimmt damit nicht?«
»Alles. Sadie, wir müssen uns beeilen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
12
Wir überquerten die Elm Street diagonal, wobei ich fast im Laufschritt mitkrückte. Der größte Teil der Menge stand entlang der Main Street, aber immer mehr Leute kamen auf die Dealey Plaza und säumten die Elm Street vor dem Lagergebäude. Sie füllten den Gehsteig bis hinunter zur Dreifachunterführung. Junge Mädchen saßen auf den Schultern ihrer jugendlichen Freunde. Kinder, die vielleicht bald in Panik schreien würden, schmierten sich fröhlich das Gesicht mit Eiscreme voll. Ich sah einen Mann, der Sno-Cones-Eistüten verkaufte, und eine Frau mit riesiger Afrofrisur, die mit billigen Fotos von Jack und Jackie, beide in Abendkleidung, hausieren ging.
Als wir den Schatten des Lagergebäudes erreichten, war ich in Schweiß gebadet, meine Achsel schmerzte vom ungewohnten Druck durch die Krücke, und mein linkes Knie wurde durch einen feurigen Ring abgeschnürt. Ich konnte es kaum noch beugen. Bei einem Blick nach oben sah ich, dass aus einigen der Fenster Angestellte des Schulbuchlagers lehnten. An dem Fenster in der Südostecke des fünften Stocks war niemand zu sehen, aber Lee würde dort oben sein.
Ich sah auf meine Uhr. Zwanzig nach zwölf. Wir konnten die Fortbewegung der Autokolonne anhand der anschwellenden Begeisterung entlang der Lower Main Street verfolgen.
Sadie versuchte die Tür aufzuziehen und warf mir dann einen gequälten Blick zu. »Abgeschlossen!«
Drinnen sah ich einen Schwarzen mit einer Schiebermütze, die verwegen schräg auf seinem Kopf saß. Er rauchte eine Zigarette. Al hatte seine Aufzeichnungen gern durch Randnotizen angereichert, und gegen Ende hatte er – scheinbar gedankenlos hingekritzelt – die Namen mehrerer Kollegen Lees notiert. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, sie mir zu merken, weil ich mir nicht hatte vorstellen können, was um Himmels willen ich damit anfangen sollte. Neben einem dieser Namen – bestimmt der des Schiebermützenmannes – hatte Al vermerkt: Als Erster verdächtigt (vermutlich weil schwarz). Obwohl der Name ungewöhnlich gewesen war, konnte ich mich nicht an ihn erinnern, weil Roth und seine Schläger ihn mir
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