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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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musterte mich ein letztes Mal prüfend. »Die Jeans sind fürs Erste in Ordnung, aber bevor du nach Norden weiterreist, solltest du dir bei Mason’s Menswear in der Upper Main Street Slacks kaufen. Pendletons und Khaki-Twill sind für den Alltag in Ordnung, Ban-Lon für festliche Anlässe.«
    »Ban-Lon?«
    »Frag einfach danach, die wissen dann schon. Außerdem brauchst du ein paar Oberhemden. Irgendwann einen Anzug. Außerdem ein paar Krawatten und eine Krawattenspange. Kauf dir auch einen Hut. Keine Baseballmütze, sondern einen hübschen Strohhut für den Sommer.«
    Aus seinen Augenwinkeln quollen Tränen. Sie erschreckten mich mehr als alles, was er gesagt hatte.
    »Al? Was ist los?«
    »Ich hab nur Angst, genau wie du. Trotzdem müssen wir jetzt nicht gerührt voneinander Abschied nehmen. Wenn du zurückkommst, bist du unabhängig von der Dauer deines Aufenthalts im Jahr 1958 in genau zwei Minuten wieder hier. Bis dahin habe ich gerade Zeit, die Kaffeemaschine anzuwerfen. Wenn alles klappt, trinken wir zusammen eine schöne Tasse Kaffee, und du kannst mir davon erzählen.«
    Wenn. Ein großes Wort.
    »Du könntest auch ein Gebet sprechen. Dafür wäre doch genug Zeit, oder?«
    »Klar. Ich werde dafür beten, dass alles glattgeht. Vergiss vor lauter Verwirrung über deine neue Umgebung nicht, dass du es mit einem gefährlichen Mann zu tun hast. Vielleicht sogar gefährlicher als Oswald.«
    »Ich sehe mich vor.«
    »Okay. Halt möglichst die Klappe, bis du genug vom Dialekt der Leute und der damaligen Atmosphäre aufgeschnappt hast. Mach langsam. Schlag keine Wellen.«
    Ich gab mir Mühe zu lächeln, bin mir aber nicht sicher, ob es mir gelungen ist. Die Aktentasche fühlte sich bleischwer an, so als enthielte sie Steine statt Geld und gefälschte Ausweise. Ich fürchtete, ich könnte ohnmächtig werden. Und trotzdem, Gott steh mir bei, wollte ich irgendwie nach drüben. Konnte ich es kaum erwarten hinüberzukommen. Ich wollte die USA in meinem Chevrolet sehen; Amerika lud mich zu einem Besuch ein.
    Al streckte mir seine abgemagerte, zitternde Hand hin. »Alles Gute, Jake. Und Gottes Segen.«
    »George, meinst du.«
    »George, richtig. Jetzt aber los! Jetzt wird’s Zeit, wie sie damals sagen, die Fliege zu machen.«
    Ich wandte mich ab, ging langsam in den Vorratsraum und bewegte mich dabei wie ein Mensch, der ohne Licht die oberste Stufe einer Treppe ertastet.
    Beim dritten Schritt fand ich sie.

Teil 2
    TEIL 2
    DER VATER DES
HAUSMEISTERS

Kapitel 5
    KAPITEL 5
    1
    Genau wie zuvor ging ich die Seite des Trockenschuppens entlang. Ich schlüpfte unter der Kette hindurch, an der genau wie zuvor ein Schild mit der Aufschrift AB HIER KEIN ZUTRITT, BIS KANALROHR REPARIERT IST hing. Als ich genau wie zuvor um die Ecke des großen, grün gestrichenen, würfelförmigen Gebäudes bog, prallte etwas mit mir zusammen. Ich bin nicht besonders schwer für meine Größe, aber ich habe etwas Fleisch auf den Knochen – »Dich bläst so leicht kein Sturm um«, pflegte mein Vater zu sagen –, und trotzdem holte mich der Mann mit der gelben Karte fast von den Beinen. Es war, als würde man von einem schwarzen Mantel voller flatternder Vögel angegriffen. Dazu schrie er etwas, aber ich war zu erschrocken (nicht wirklich verängstigt, dazu passierte alles viel zu schnell), als dass ich ihn verstanden hätte.
    Ich stieß ihn weg, und er torkelte rückwärts gegen den Trockenschuppen, wobei sein schwarzer Mantel um seine Beine wirbelte. Sein Hinterkopf schlug dumpf an Metall, und sein schmuddeliger Fedora fiel zu Boden. Er folgte ihm nach unten – nicht in einem Durcheinander aus Armen und Beinen, sondern indem er sich ziehharmonikaartig zusammenfaltete. Was ich getan hatte, bedauerte ich, schon bevor mein Herz zu seinem normalen Rhythmus zurückgefunden hatte. Ich bedauerte es noch mehr, als er den Hut aufhob und ihn mit seiner schmutzigen Hand abzureiben begann. Dieser Hut würde nie mehr sauber werden – und sein Besitzer vermutlich erst recht nicht.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich, aber als ich mich bückte, um seine Schulter zu berühren, robbte er hastig den Schuppen entlang von mir weg. Ich würde sagen, er habe wie eine verkrüppelte Spinne ausgesehen, aber so sah er nicht aus. Er sah genau aus wie das, was er war: ein Säufer mit Gehirnerweichung. Ein Mann, der dem Tod vielleicht so nahe war wie Al Templeton, weil es im Amerika der Fünfzigerjahre für Kerle wie ihn vermutlich keine von Wohltätigkeitsorganisationen

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