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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Hüften zu wackeln«, sagte der Fahrer und ließ den Fensterspalt die Asche von seiner Zigarette saugen. Das blieb sein einziger Versuch, zwischen Titus’ Chevron-Tankstelle und dem Tamarack-Autohof Konversation zu machen.
    Ich kurbelte mein Fenster herunter, um den Zigarettenrauch zu verdünnen, und beobachtete, wie draußen eine andere Welt vorbeizog. Der Siedlungsbrei zwischen Lisbon Falls und der Stadtgrenze von Lewiston existierte noch nicht. Abgesehen von einigen Tankstellen, dem Drive-in-Restaurant Hi-Hat und dem Autokino (das mit einer Doppelvorstellung von Vertigo – Aus dem Reich der Toten und Der lange heiße Sommer warb – beide in Cinemascope und Technicolor) lag beiderseits der Straße nur das ländliche Maine. Ich sah mehr Kühe als Menschen.
    Der Autohof lag abseits der Straße und wurde nicht etwa von Tamarack-Lärchen, sondern von riesigen, majestätischen Ulmen be schattet. Sie erinnerten nicht exakt an eine Herde Dinosaurier, aber fast. Während ich sie anglotzte, zündete Mr. Taxikonzession sich eine weitere Kippe an. »Brauchn Sie Hilfe mittem Gepäck, Sir?«
    »Danke, ich komme zurecht.« Der auf dem Taxameter angezeigte Fahrpreis war weniger stattlich als die Ulmen, aber trotzdem verblüffend. Ich gab dem Kerl zwei Dollar und wollte fünfzig Cent zurück. Damit schien er zufrieden zu sein; schließlich bekam er für das Trinkgeld ein Päckchen Luckies.
    10
    Ich checkte ohne Probleme ein – Cash auf die Theke, Ausweis nicht erforderlich – und hielt anschließend in meinem Zimmer, in dem die Klimaanlage aus einem Ventilator auf dem Fensterbrett bestand, ein langes Nickerchen. Ich wachte erfrischt auf (gut) und fand dann abends keinen Schlaf (nicht gut). Nach Sonnenuntergang herrschte auf dem Highway praktisch kein Verkehr mehr, und die Stille war so tief, dass sie mich beunruhigte. Der Fernseher war ein Tischgerät von Zenith, das bestimmt einen Zentner wog. Auf dem Gerät stand eine Zimmerantenne, deren Form an Hasenohren erinnerte. An ihrem Sockel lehnte ein Schild mit der Aufschrift: ANTENNE PER HAND VERSTELLEN; KEINE »ALU FOLIE« VERWEN DEN! DANKE, DIE DIREKTION.
    Es gab drei Sender. Das NBC-Bild war förmlich unter Schnee vergraben, auch wenn ich noch so viel an der Antenne herumstellte, und das CBS -Bild rollte nach oben weg, was sich auch mit dem Bildlaufknopf nicht korrigieren ließ. Im Gegensatz dazu gab es auf ABC ein wunderbar klares Bild; dort lief gerade eine Folge von Wyatt Earp greift ein mit Hugh O’Brian in der Hauptrolle. Er erschoss ein paar Banditen, und dann kam eine Werbeeinblendung für Viceroy-Zigaretten. Steve McQueen erklärte, Viceroys hätten Filter für den denkenden und Geschmack für den rauchenden Mann. Als er sich eine anzündete, stand ich vom Bett auf und schaltete den Fernseher aus.
    Danach war nur noch das Zirpen der Grillen zu hören.
    Ich zog mich bis auf die Unterhose aus, legte mich hin und versuchte zu schlafen. In Gedanken war ich bei meinen Eltern. Dad war im Augenblick sechs und lebte in Eau Claire. Mutter, erst fünf, wohnte in Iowa in einem Farmhaus, das in drei oder vier Jahren völlig abbrennen würde. Danach würde ihre Familie nach Wisconsin ziehen – näher an den Schnittpunkt zweier Leben heran, aus dem schließlich … ich entstehen würde.
    Du bist verrückt, dachte ich. Du bist Patient irgendeiner Nervenheilanstalt und hast schrecklich detaillierte Wahnvorstellungen. Vielleicht schreibt ein Arzt über deinen Fall in einem Fachjournal. Statt »Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte« bist du »Der Mann, der glaubte, im Jahr 1958 zu sein«.
    Aber ich fuhr mit einer Hand über die genoppte Tagesdecke, die ich noch zurückschlagen musste, und wusste, wo ich war. Ich dachte an Lee Harvey Oswald, aber Oswald wartete noch in wei ter Zukunft, und er war nicht das, was mich in diesem Museumsstück von einem Motelzimmer beunruhigte.
    Ich saß auf der Bettkante, öffnete meine Aktentasche und holte das Handy heraus: ein Zeitreisegerät, das hier absolut wertlos war. Trotzdem konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, es aufzuklappen und einzuschalten. Auf dem Display erschien natürlich KEIN NETZZUGANG – was hatte ich anderes erwartet? Fünf Balken? Eine klagende Stimme, die mich aufforderte: Komm heim, Jake, bevor du etwas anrichtest, was du nicht wiedergutmachen kannst? Eine dumme, abergläubische Idee. Wenn ich Schaden anrichtete, konnte ich ihn wiedergutmachen, weil jeder Trip einen Neustart bedeutete. Gewissermaßen

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