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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Beweglichkeit dafür besaß –, aber sie tanzten ihn langsam, weil sie noch dabei waren, die Schritte zu lernen. Ich sah jede einzelne Figur voraus. Ich kannte sie alle, obwohl ich sie seit mindestens fünf Jahren nicht mehr selbst getanzt hatte. Aufeinander zukommen, sich an den Händen fassen. Er beugt sich leicht vor und schwingt den linken Fuß nach vorn, während sie das Gleiche tut, wobei beide den Oberkörper so verdrehen, dass sie sich in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen scheinen. Auseinander, weiter an den Händen gefasst, dann dreht sie sich erst nach links, dann nach rechts …
    Aber sie verpatzten das Zurückdrehen, und die Rothaarige landete im Gras. »Verdammt, Richie, nie machst du das richtig! Du bist echt hoffnungslos, Mann!« Aber sie lachte dabei. Sie warf sich auf den Rücken und starrte in den Himmel.
    »Tut mir so leid, Miss Scawlett!«, rief der Junge mit kreischender Negerbabystimme, die im politisch korrekten 21. Jahrhundert auf wenig Gegenliebe gestoßen wäre. »Ich bin bloß ein Tölpel vom Land, aber ich werd diesen Tanz lernen, und wenn er mich umbringt!«
    »Wahrscheinlich bringt er eher mich um«, sagte sie. »Leg die Platte noch mal auf, bevor ich meine …« Dann entdeckten die beiden mich.
    Es war ein merkwürdiger Augenblick. In Derry gab es einen Schleier, den ich inzwischen so gut kannte, dass ich ihn fast sehen konnte. Die Einheimischen waren auf einer Seite; Außenstehende (wie Fred Toomey oder wie ich) waren auf der anderen. Manchmal kamen die Einheimischen dahinter hervor wie Mrs. Starrett, die Bibliothekarin, die ihrer Empörung über die ausgelagerten Volkszählungsunterlagen Ausdruck verliehen hatte, aber wenn man zu viele Fragen stellte – und vor allem wenn man sie erschreckte –, zogen sie sich wieder hinter ihn zurück.
    Aber obwohl ich diese beiden erschreckt hatte, zogen sie sich nicht hinter den Schleier zurück. Statt sich zu verschließen, blieben ihre Gesichter offen, voller Neugier und Interesse.
    »Sorry, sorry«, sagte ich. »Ich wollte euch nicht überraschen. Ich habe die Musik gehört und gesehen, wie ihr den Lindy-Hop tanzt.«
    »Wie wir ihn zu tanzen versuchen, meinen Sie«, sagte der Junge. Er zog das Mädchen hoch. Dann machte er eine kleine Verbeu gung. »Richie Tozier, zu Ihren Diensten. Meine Freunde sagen alle: ›Richie-Richie, he live in a ditchie‹, aber was wissen die schon.«
    »Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte ich. »George Amberson.« Und dann fügte ich einer plötzlichen Eingebung folgend hinzu: » Meine Freunde sagen alle: ›Georgie-Georgie, he wash his clothes in a Norgie‹, aber auch die wissen natürlich nichts.«
    Das Mädchen ließ sich kichernd auf die Bank eines der Picknick tische fallen. Der Junge riss die Arme hoch und trompetete: »Frem der Erwachsener führt sich glänzend ein! Wacka-wacka-wacka! Ent zück end! Ed McMahon, was haben wir für diesen wundervollen Burschen? Nun, Johnny, die heutigen Preise bei Who Do You Trust sind eine komplette Ausgabe der Encyclop æ dia Britannica und ein Elektrolux-Staubsauger, mit dem man sie aufsaugen …«
    »Piep-piep, Richie«, sagte das Mädchen. Sie wischte sich Lachtränen aus den Augen.
    Das bewirkte eine deplatzierte Rückkehr zu der kreischenden Negerbabystimme. »Tut mir so leid, Miss Scawlett, bitte nich auspeitschn! Hab noch Striemen vom letzten Mal.«
    »Und wer bist du, Miss?«, fragte ich.
    »Bevvie-Bevvie, I live on the levee«, antwortete sie und begann wieder zu kichern. »Sorry – Richie ist ein Dummkopf, aber ich habe keine Ausrede. Beverly Marsh. Sie sind nicht von hier, stimmt’s?«
    Das war etwas, was hier jeder sofort zu erkennen schien. »Nein, und ihr beide wirkt auch nicht, als wärt ihr von hier. Ihr seid die ersten Einheimischen, die ich kennenlerne, die nicht … griesgrämig sind.«
    »Ja, Sir, dies ist ein griesgrämiges Nest«, sagte Richie und nahm den Tonarm von der Schallplatte. Die Nadel war endlos wieder in die letzte Rille zurückgesprungen.
    »Wie ich höre, machen die Leute sich hier große Sorgen um ihre Kinder«, sagte ich. »Beachtet bitte, dass ich Abstand wahre. Ihr auf dem Rasen, ich auf dem Gehsteig.«
    »Als die Morde passiert sind, haben sie sich nicht groß Sorgen gemacht«, murrte Richie. »Sie wissen von den Morden?«
    Ich nickte. »Ich wohne im Town House. Jemand, der dort arbeitet, hat mir davon erzählt.«
    »Echt, seit das mit den Morden aufgehört hat, machen sich plötzlich alle Leute Sorgen um ihre Kinder.«

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