Der Anschlag - King, S: Anschlag
Er setzte sich neben Bevvie, die auf dem Deich wohnte. »Aber als die Mordserie im Gang war, hat man kein Scheißwörtchen von ihnen gehört.«
»Richie«, sagte sie. »Piep-piep.«
Diesmal versuchte der Junge es mit einer wirklich grässlichen Humphrey-Bogart-Imitation. »Nun, es ist wahr, Schweetheart. Und du weißt, dass es wahr ist.«
»Das alles ist vorüber«, erklärte mir Bevvie. Dabei klang sie so ernsthaft wie eine Sprecherin der hiesigen Industrie- und Handelskammer. »Sie wissen’s nur noch nicht.«
»Sind mit sie nur die Einheimischen oder Erwachsene im Allgemeinen gemeint?«
Sie zuckte die Achseln, als wollte sie fragen: Worin liegt der Unterschied?
»Aber ihr wisst es.«
»Das tun wir tatsächlich«, sagte Richie. Er musterte mich herausfordernd, aber in den Augen hinter seiner geflickten Brille glitzerte weiter etwas von seinem kauzigen Humor. Ich konnte mir vorstellen, dass der den Jungen nie ganz verließ.
Ich betrat den Rasen. Keiner der beiden Jugendlichen ergriff schreiend die Flucht. Stattdessen rutschte Beverly auf der Bank etwas zur Seite (und stieß Richie mit dem Ellbogen an, damit er es ihr nachtat), um mir Platz zu machen. Entweder waren sie sehr tapfer oder sehr dumm, allerdings sahen sie keineswegs dumm aus.
Dann sagte das Mädchen etwas, was mich verblüffte. »Kenne ich Sie? Kennen wir Sie?«
Bevor ich antworten konnte, meldete Richie sich zu Wort. »Nein, das ist es nicht. Es ist … ich weiß nicht. Wollen Sie etwas, Mr. Amberson? Ist es das?«
»Tatsächlich möchte ich etwas. Ein paar Informationen. Aber woher wisst ihr das? Und woher wisst ihr, dass ich nicht gefährlich bin?«
Sie wechselten einen Blick, und ich meinte, eine wortlose Kom munikation zwischen ihnen zu spüren. Sie war unmöglich zu enträtseln, aber zwei Dinge schienen sicher zu sein: Sie hatten in mir eine Andersartigkeit entdeckt, die darüber hinausging, dass ich ein Fremder in ihrer Stadt war … aber im Gegensatz zum Gelbe-Karte-Mann fürchteten sie sich nicht davor. Im Gegenteil: Sie waren ganz fasziniert davon. Ich ahnte, dass diese beiden attraktiven, furchtlosen Teenager einiges zu erzählen gehabt hätten, und habe mich später noch oft gefragt, was für Geschichten das gewesen wären.
»Sie sind’s einfach nicht«, sagte Richie, und als er zu dem Mädchen hinübersah, nickte es zustimmend.
»Und ihr wisst bestimmt, dass die … die schlimmen Zeiten … vorüber sind?«
»Überwiegend«, sagte Beverly. »Die Dinge bessern sich. In Derry sind die schlimmen Zeiten, glaube ich, vorbei, Mr. Amberson – die Stadt ist in vieler Beziehung hart.«
»Nehmen wir mal an, ich würde euch erzählen – nur hypothetisch –, dass noch eine schlimme Sache bevorsteht. Etwas von der Art, wie es einem kleinen Jungen namens Dorsey Corcoran zugestoßen ist.«
Sie fuhren zusammen, als hätte ich sie an einer Stelle gezwickt, wo die Nerven dicht unter der Haut lagen. Beverly wandte sich Richie zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Weil sie hastig und leise sprach, konnte ich sie nicht genau verstehen, aber es klang wie: Das war nicht der Clown. Dann sah sie wieder mich an.
»Welche schlimme Sache? Wie damals, als Dorseys Vater …«
»Schon gut. Ihr müsst das nicht wissen.« Es war Zeit, den Sprung zu wagen. Diese beiden würden mir helfen. Ich wusste nicht, woher diese Gewissheit kam, aber sie war da. »Kennt ihr ein paar Kinder, die Dunning heißen?« Ich zählte sie an den Fingern ab. »Troy, Arthur, Harry und Ellen. Arthur hat den Spitznamen …«
»Tugga«, sagte Beverly nüchtern. »Klar kennen wir ihn, er geht in unsere Schule. Den Lindy-Hop üben wir für die Talentshow unserer Schule, die kurz vor Thanksgiving stattfindet …«
»Miss Scawlett, sie glaubt, dass man nie zu früh mit dem Üben anfangen kann«, warf Richie ein.
Beverly Marsh achtete nicht auf ihn. »Tugga ist auch für die Show angemeldet. Er will zur Musik von ›Splish-Splash‹ den Text singen.« Sie verdrehte die Augen. Das konnte sie gut.
»Wo wohnt er? Wisst ihr das?«
Sie wussten es natürlich, aber erst einmal verriet es mir keiner der beiden. Und wenn ich ihnen nicht etwas mehr verriet, würden sie es gar nicht tun. Das konnte ich in ihren Gesichtern lesen.
»Nehmen wir mal an, ich würde euch erzählen, dass es sehr leicht möglich ist, dass Tugga nie in der Lage sein wird, an der Talentshow teilzunehmen, wenn nicht jemand auf ihn aufpasst. Das gilt auch für seine Geschwister. Würdet ihr mir das glauben?«
Die
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