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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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traute mir eine Tötung im Affekt zu – um mich selbst oder andere zu verteidigen –, aber vorsätzlichen Mord? Selbst wenn ich wusste, dass mein potenzielles Opfer seine Frau und seine Kinder ermorden würde, wenn ich ihn nicht daran hinderte?
    Und … was war, wenn ich es tat und erwischt wurde, bevor ich in die Zukunft entkommen konnte, in der ich statt George Amberson wieder Jake Epping war? Ich würde vor Gericht gestellt, schuldig gesprochen und ins Shawshank State Prison eingeliefert werden. Dort würde ich noch an dem Tag einsitzen, an dem John F. Kennedy in Dallas ermordet wurde.
    Selbst damit war ich der Sache noch nicht absolut auf den Grund gegangen. Ich stand auf, ging durch die Küche in mein Bad von der Größe einer Telefonzelle, setzte mich auf den heruntergeklappten Klodeckel und stützte den Kopf in die Hände. Ich war davon ausgegangen, dass Harrys Aufsatz der Wahrheit entsprach. Auch Al hatte das getan. Vermutlich stimmte das auch, denn Harry war geistig eindeutig zwei, drei Stufen unter dem Durchschnitt, und solche Leute neigten weniger dazu, Fantasien wie die von der Ermordung einer ganzen Familie als Realität hinzustellen. Trotzdem …
    Neunundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit sind nicht hundert, hatte Al gesagt und dabei von Oswald gesprochen. Der war ungefähr der Einzige, der überhaupt als der Attentäter infrage kam, wenn man all die wirren Verschwörungstheorien ausklammerte, und trotzdem hatte Al diese letzten Restzweifel gehabt.
    Ich hatte Harrys Geschichte nie überprüft. In der computerfreundlichen Welt des Jahres 2011 wäre das leicht gewesen, trotzdem hatte ich es nie getan. Und selbst wenn sie hundertprozentig der Wahrheit entsprach, konnte es wichtige Details geben, in denen er sich geirrt oder die er ganz ausgelassen hatte. Dinge, die zu Fallstricken für mich werden konnten. Was, wenn ich, statt wie Sir Galahad zur Rettung der Familie zu reiten, nur dafür sorgte, dass ich zusammen mit ihr ermordet wurde? Das würde zu einigen interessanten Veränderungen in der Zukunft führen, nur würde ich sie leider nicht mehr beobachten können.
    Dann hatte ich plötzlich eine neue Idee, die mir auf verrückte Weise sehr ansprechend erschien. Ich konnte an Halloween gegenüber dem Haus Kossuth Street 379 Stellung beziehen … und einfach nur zusehen. Um sicherzugehen, dass es wirklich passierte, ja, aber auch, um alle Einzelheiten zu registrieren, die der einzige Überlebende – ein traumatisierter kleiner Junge – vielleicht übersehen hatte. Dann konnte ich nach Lisbon Falls zurückfahren, die Treppe hinaufgehen und sofort am 9. September 1958 um 11.58 Uhr zurückkehren, um wieder den Sunliner zu kaufen und wieder nach Derry zu fahren, diesmal jedoch mit allen nötigen Informationen versehen. Natürlich hatte ich schon ziemlich viel von Als Geld ausgegeben, aber der Rest würde locker reichen.
    Die Idee kam gut aus den Startlöchern, strauchelte dann aber schon vor der ersten Kurve. Der ganze Sinn dieses Trips hatte darin bestanden, herauszufinden, wie die Rettung der Angehörigen des Hausmeisters sich auf die Zukunft auswirken würde. Wenn ich Frank Dunning die Morde verüben ließ, würde ich das nie erfahren. Außerdem stand mir bereits eine Rückkehr ins Jahr 1958 bevor, denn es würde einen dieser Neustarts geben, wenn – falls – ich wiederkam, um Oswald zu stoppen. Einmal war schlimm. Zweimal würde noch schlimmer sein. Dreimal war undenkbar.
    Und noch etwas anderes: Harry Dunnings Mutter und seine Geschwister waren schon einmal gestorben. Wollte ich sie dazu verurteilen, ein zweites Mal zu sterben? Auch wenn jedes Mal ein Neustart war, sodass sie nichts davon wussten? Und wer konnte überhaupt sicher sein, dass sie es nicht auf irgendeiner unteren Bewusstseinsebene doch ahnten?
    Die Schmerzen. Das Blut. Rotkäppchen, das unter dem Schaukelstuhl auf dem Boden lag. Harry, der versuchte, sich den Tobenden mit einem Daisy-Luftgewehr vom Leib zu halten. Lass mich in Ruhe, Dad, sonst erschieß ich dich.
    Ich schlurfte durch die Küche zurück und blieb kurz stehen, um den Stuhl mit dem gelben Kunststoffpolster anzusehen. »Ich hasse dich, Stuhl«, sagte ich zu ihm und ging dann wieder ins Bett.
    Diesmal schlief ich fast augenblicklich ein. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schien eine Neunuhrsonne durch mein noch vorhangloses Schlafzimmerfenster, die Vögel zwitscherten wich tigtuerisch, und ich glaubte zu wissen, was ich zu tun hatte. Warum kompliziert, wenn’s auch

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