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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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erzählen.
    Ich ging langsam in Richtung Stadt zurück und machte einen Umweg von zwei Straßen, um Edna Price’ Gästehaus auszuweichen, dessen Bewohner sich nach dem Abendessen auf der Veranda versammelten – genau wie die Leute in einer der Kurzgeschichten von Ray Bradbury über das idyllische Greentown, Illinois. Und ähnelte Frank Dunning nicht einem dieser guten Leute? Gewiss, das tat er. Aber auch in Bradburys Greentown hatte es verborgene Schrecken gegeben.
    Der nette Mann wohnt nicht mehr daheim, hatte Richie-from-the-ditchie gesagt, und diese Information stimmte. Der nette Mann wohnte in einem Gästehaus, in dem jeder ihn für ganz reizend zu halten schien.
    Meiner Schätzung nach stand das Gästehaus Price keine fünf Straßen westlich des Hauses Kossuth Street 379, vielleicht sogar näher. Saß Frank Dunning am Fenster seines Pensionszimmers, wenn die übrigen Bewohner zu Bett gegangen waren, und sah nach Osten wie einer der Gläubigen, die sich der Kibla zuwandten? Und hatte er dabei sein He-großartig-Sie-zu-sehen-Lächeln aufgesetzt? Das bezweifelte ich. Und waren seine Augen blau, oder hatten sie wieder diese kalte, nachdenkliche graue Farbe angenommen? Wie erklärte er den Leuten, die die Abendluft auf Edna Price’ Veranda genossen, dass er Herd und Heim verlassen hatte? Hatte er sich eine Geschichte zurechtgelegt, in der seine Frau ein bisschen übergeschnappt oder ein ausgemachtes Luder war? Das hielt ich für wahrscheinlich. Und glaubten die Leute ihm das? Diese Frage war leicht zu beantworten. Ob man von 1958, 1985 oder 2011 sprach, spielte keine Rolle. In Amerika, wo der Schein stets als Realität galt, wurde Kerlen wie Frank Dunning immer geglaubt.
    4
    Am folgenden Dienstag mietete ich ein Apartment, das in den Derry Daily News als »teilmöbliert, in guter Wohnlage« beschrieben wurde, und am Mittwoch, dem 17. September, zog Mr. George Amberson dort ein. Goodbye, Derry Town House; hello, Harris Avenue. Ich lebte nun seit über einer Woche im Jahr 1958 und begann mich dort wohlzufühlen, wenn auch nicht gerade heimisch.
    Die Teilmöblierung bestand aus einem Bett (mit leicht fleckiger Matratze, aber ohne Bettwäsche), einem Sofa, einem Küchentisch, dessen eines Bein unterlegt werden musste, damit er nicht wackelte, und einem einzelnen Stuhl mit gelbem Kunststoffpolster, das ein komisches schmatzendes Geräusch machte, wenn es sich beim Aufstehen von meinem Hosenboden löste. Weiter gab es einen Herd und einen ratternden Kühlschrank. Im Vorratsschrank in der Küche entdeckte ich das Klimagerät meines Apartments: ein GE -Ventilator mit ausgefranstem Kabel, das absolut tödlich aussah.
    Das genau in der Einflugschneise des Flughafens Derry liegende Apartment war mit fünfundsechzig Dollar im Monat etwas überteuert, fand ich, aber ich nahm es, weil Mrs. Joplin, die Vermieterin, bereit war, über Mr. Ambersons Mangel an Referenzen hinwegzusehen. Dass er anbieten konnte, drei Monatsmieten im Voraus zu zahlen, war dabei sicher nützlich. Trotzdem bestand sie darauf, sich die Angaben auf meinem Führerschein zu notieren. Falls sie es seltsam fand, dass ein freiberuflicher Immobilienmakler aus Wisconsin einen Führerschein aus Maine hatte, behielt sie das für sich.
    Ich war froh, dass Al mir reichlich Bargeld mitgegeben hatte. Bargeld wirkte so beruhigend auf Fremde.
    Vor allem reichte es 1958 auch bedeutend weiter. Für nur dreihundert Dollar konnte ich mein teilmöbliertes Apartment in ein vollständig möbliertes verwandeln. Neunzig dieser dreihundert gab ich für einen gebrauchten Tischfernseher von RCA aus. An diesem Abend sah ich die Steve Allen Show in prachtvollem Schwarz-Weiß, dann schaltete ich den Fernseher aus, saß am Küchentisch und hörte zu, wie ein Flugzeug mit pfeifenden Propellern zur Landung anschwebte. Aus meiner Gesäßtasche zog ich ein kleines Blue-Horse-Schreibheft, das ich in der Unterstadt in dem Drugstore (in dem Ladendiebstahl kein Nervenkitzel oder Spaß und auch keine Mutprobe war) gekauft hatte. Ich schlug die erste Seite auf und klickte die Mine meines ebenso neuen Parker-Kugelschreibers heraus. So saß ich ungefähr eine Viertelstunde lang da – lange genug, dass ein weiteres Flugzeug geräuschvoll und anscheinend so tief anfliegen konnte, dass ich fast erwartete, seine Räder über das Dach poltern zu hören.
    Die Seite blieb leer. Mein Verstand ebenso. Immer wenn ich ihn anzukurbeln versuchte, war der einzige zusammenhängende Gedanke, zu dem ich imstande

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