Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
nicht überleben. Das sei falsch. Und doch überlebte er seinen Sohn um dreizehn Jahre.
Erst, als Pops gestorben war, hatte Pip endlich den Mut, auszuziehen.
»Du musst dein eigenes Leben leben, Pip«, hatte er sie ermahnt. »Ich weiß, wie sehr du sie liebst und sie dich, aber du kannst nicht den Rest deines Lebens damit verbringen, dich hier um alle anderen zu kümmern. Manchmal muss man sich zuallererst um sich selbst kümmern. Überleg dir gut, was du selber willst, mein Engel, versprich mir das.«
So sehr Pip ihre Familie und ihr Zuhause auch liebte – sie wünschte sich damals von ganzem Herzen, mehr von der Welt zu sehen.
Ein paar Tage später befanden sich Pip und ihr Rucksack in einem Flugzeug nach München.
Zwei Wochen lang erkundete sie die Stadt, bis sie eines Tages im Hofbräuhaus landete, wo sie einen ausländischen Studenten kennenlernte.
Beau.
Er war gerade mal zwanzig, sprach vier Sprachen und wusste ganz genau, was er vom Leben wollte. Wie Pip stand auch er am Anfang einer Auszeit, in der er ganz Europa bereisen wollte, aber im Gegensatz zu ihr legte er eine Furchtlosigkeit an den Tag, die sie bewundernswert fand. Sie würde niemals so mutig sein.
Er war patent, witzig, süß und erschreckend intelligent. Seine dunkelblauen Augen funkelten lebendig, und seine selten still stehenden Lippen luden nachgerade zum Küssen ein.
Nach nur zwei Stunden war Pip klar, dass sie sich soeben zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt hatte.
Das jagte ihr einen solchen Schrecken ein, dass sie das Hofbräuhaus verließ, ohne sich von ihm zu verabschieden.
Am nächsten Tag packte sie ihren Rucksack und verschwand Richtung Südwesten. Von München über Konstanz nach Zürich, von dort nach Lausanne, Lyon, Marseille und schließlich nach Barcelona. Dort war dann Nancy zu ihr gestoßen. Sie hatte sich von ihrer Arbeit und ihrer Ausbildung eine Auszeit genommen. Gemeinsam reisten sie nach Madrid, und von dort erkundeten sie das Mittelmeer, schipperten von einer griechischen Insel zur anderen, sahen sich Athen an und fuhren dann nach Italien weiter, von wo Nancy wieder nach Hause flog. Pip reiste alleine weiter.
Zwar hatte Pip sich an die Gesellschaft gewöhnt, aber dennoch fiel ihr der Abschied von Nancy nicht so schwer, wie sie erwartet hatte. Nancy war das Ying, das Pips Yang ergänzte. Sie wollte immer nur Sonne, Party und Alkohol, während Pip sich auch für Kunst und Architektur interessierte. Nancy hätten keine zehn Pferde in irgendwelche Museen und Galerien gebracht.
Pip fuhr weiter nach Florenz, wo sie – kaum zu glauben, aber wahr – Beau wiederbegegnete.
Sie hatte sich in der Galleria dell’Accademia seligst die vielen florentinischen Gemälde angesehen und dann hingerissen Michelangelos David studiert, da entdeckte sie ihn.
Er hatte schon eine ganze Weile beobachtet, wie sie Davids knackigen Hintern bestaunt hatte. Im ersten Moment wollte Pip wieder die Beine in die Hand nehmen, doch dann schenkte Beau ihr – und nur ihr – ein langsames, süßes, verführerisches, neckisches Lächeln ...
Dieses Geschenk bedeutete ihr bis heute unendlich viel. Sie konnte es immer noch vor sich sehen ... Und damals war sie hoffnungslos verloren gewesen.
Sie setzten ihre Reise durch Italien gemeinsam fort. Erst fuhren sie zurück nach Rom, dann nach Neapel und Sizilien und schließlich an der Ostküste entlang wieder nach Norden.
Ihre letzte Station war Venedig.
Es war einfach himmlisch gewesen.
Während ihrer gemeinsamen Reise hatten sie nicht nur Italien, sondern auch einander immer besser kennengelernt.
Wenn sie damals nicht so verdammt jung gewesen wären, vielleicht wäre er der Mann ihres Lebens gewesen.
Doch sie waren so leichtsinnig, sich abermals auf das Schicksal zu verlassen. Liebestrunken und wie berauscht von der geballten Romantik Venedigs glaubten sie daran, dass sie füreinander bestimmt waren und das Schicksal sie irgendwie, irgendwo, irgendwann auch ein drittes Mal zusammenführen würde. Darum tauschten sie weder Telefonnummern noch Adressen aus.
Das Schicksal hatte sie übelst im Stich gelassen. Sie sahen einander nie wieder.
Pip dachte immer noch ab und zu an ihn.
Vielleicht konnte sie ihn eines Tages ausfindig machen.
Andererseits könnte er das ja auch versuchen. Bei einem Namen wie Persicoria dürfte das heutzutage ja nicht so schwer sein. Wenn er sie hätte finden wollen, hätte er es längst getan, oder?
Es sei denn, er hätte ihren Namen gegoogelt und nur Suchergebnisse
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