Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
Sachen?«
»Na ja, du hast sie ja in den letzten zwei Monaten nicht angezogen«, verteidigte sie sich.
»Weggegangen, Klamotten gefangen«, murmelte Pip. »Ist schon gut, Viola. Ich brauche die Sachen nicht. Du kannst sie haben.«
Doch Viola schüttelte den Kopf.
»Brauchst du sie denn nicht? Du hast ja mal wieder ziemlich wenig Gepäck dabei.« Sie bedachte Pips Reisetasche mit einem säuerlichen Blick. »Bleibst wohl nicht lange? Wie üblich.«
Viola hatte Pips Auszug am wenigsten kommentiert und sich ihre Entscheidung am meisten von allen zu Herzen genommen. Sie wirkte immer so unabhängig und unbeteiligt, dass die meisten Menschen auf Abstand zu ihr gingen. Sie machte stets den Eindruck, als interessiere sie sich am meisten für sich selbst und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Das stimmte in gewisser Hinsicht auch – sie konnte sehr eigensinnig und egoistisch sein. Aber Pip kannte ihre Schwester und wusste, dass sie auch andere Seiten hatte.
Pip wusste, dass es ihre Schwester sehr belastete, nicht zu wissen, wer ihr Vater war. Sie hatte immer das Gefühl, als fehlte ihr etwas.
Dieser Identitätsverlust, kombiniert mit der nicht abreißenden Folge immer neuer und wieder verschwindender Vaterfiguren, die ja auch ihre Schwestern erlebten, hatten aus Viola ein Mädchen gemacht, das einerseits aus Selbstschutz jeden, den es liebte, von sich stieß, und andererseits mit Feuereifer versuchte, sie alle in ihrer Nähe zu behalten.
Das waren zwei ihrer Gesichter.
Und dann gab es da noch eine Seite, die nur wenige Menschen je erlebten. Viola konnte auch liebenswürdig, verletzlich, witzig und warmherzig sein. Wenn sie einen an sich heranließ, hatte man das Gefühl, Mona Lisas Lächeln würde sich in ein breites Grinsen verwandeln. Wenn sie sich einem verschloss und einen auf unnahbar machte, konnte man meinen, Mona Lisas Mundwinkel würden nach unten wandern, ihre Miene würde sich verfinstern, und die Gute würde einem den Stinkefinger zeigen.
Jetzt, in diesem Augenblick, wusste Pip ganz genau, dass ihre verwirrte Schwester nicht wusste, ob sie sie herzen oder hauen sollte, und darum streckte sie einfach die Arme nach ihr aus.
»Ist das denn so wichtig, wie lange ich bleibe? Ich bin jetzt hier, das zählt doch, oder? Jetzt mach was draus. Komm her, ich will dich in den Arm nehmen, du Kratzbürste.«
»Hör bloß auf ...«, grummelte Viola.
Emerald sprang auf Pips Bett und machte es sich mit einem zufriedenen Seufzer auf dem Klamottenhaufen bequem.
»Na, wenigstens Emerald freut sich, mich zu sehen«, stellte Pip trocken fest.
»Ich freu mich auch, dich zu sehen ...«, räumte Viola trotzig ein. »Aber ich habe nicht den Eindruck, dass du dich jemals freust, hier zu sein.«
»Das könnte daran liegen, dass jedes Mal, wenn ich komme, irgendein Problem gelöst werden muss.«
Viola nickte nachdenklich.
»Mag sein, Persicoria, aber eines Tages wirst du es vielleicht auch mal von der anderen Seite sehen können und verstehen, wie es mir dabei geht.«
»Was willst du damit sagen?« Pip runzelte die Stirn.
Aber Viola antwortete nur: »Du bist doch hier die Oberschlaue, da wirst du schon selbst draufkommen.«
Pip war entschieden zu müde für diese Art von Rätselspielen.
»Was willst du damit sagen, Viola?«, wiederholte sie, doch Viola wandte sich ab und marschierte ohne ein weiteres Wort hinaus.
»Was zum Teufel war das denn jetzt bitte?«, wollte Pip vom einzigen anderen lebenden Wesen im Raum wissen.
Doch Emerald war tief und fest eingeschlafen. Einen Moment lang überlegte Pip, Viola hinterherzugehen und ihr eine Erklärung abzuverlangen, aber dann beschloss sie, es sei das Beste, zu duschen und neben den Hund ins Bett zu kriechen.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Sie blieb liegen und ließ die Gedanken in ihrem Kopf herumrasen, bis sie sich erneut klarmachte: Es gab wirklich nur einen einzigen Weg heraus aus der misslichen Lage. Natürlich würde es auch ihr unendlich schwerfallen, aber wäre es denn wirklich so schlimm, wenn sie Arandore verkauften? Schließlich war das Anwesen viel zu groß für sie – sowohl das Haus als auch das Grundstück.
Trotz der Rezession und des schlechten Zustands des Anwesens würde es immer noch eine gute Stange Geld einbringen, weil die Lage in der Nähe von Quinn attraktiv war und nachgefragt wurde. Vom Verkaufserlös könnten sie sich etwas Kleineres, Überschaubareres kaufen, und den Rest könnten sie so anlegen, dass ihre
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