Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
und als Pip mit berstender Blase von der Arbeit nach Hause kam ... Den Anblick von Javiers muskulösem Hintern würde sie nie vergessen.
»Engel-Tattoo am Hintern. Ja, ich erinnere mich.«
»Er ist in Barcelona geboren und aufgewachsen, von daher könnte es doch sein, dass er die Bar kennt? Ich kann ihn mal drauf ansetzen, vielleicht kann er nächstes Mal, wenn er da ist, irgendwas herausfinden ...«
»Meinst du, er würde das für mich tun?«
»Ich weiß, dass er es tun wird, wenn ich ihn darum bitte ... Okay, Pip, es hat geklingelt, das wird dein Dan sein, ich werd ihn mal reinlassen ...«
»Ja, klar.« Obwohl sie fast dreihundert Kilometer entfernt war, schnappte Pip nach Luft.
»Pass auf dich auf, Süße «, trällerte Nancy, »und komm bald wieder, ja? Bis dahin halte ich ihn dir hübsch warm ...«
Als sie auflegte, empfand Pip einen Anflug von Eifersucht.
»Dein Dan«.
Schön wär’s.
In diesem Augenblick hätte sie es sein sollen, die ihm die Tür aufmacht, die ihn begrüßt, die ihm ein Glas Wein und etwas zum Knabbern anbietet, die sich selbst einschärft, einen kühlen Kopf zu bewahren und ihm nicht auch gleich noch ganz anderes anzubieten, jedenfalls nicht am ersten Abend ...
Pip sah zu Boden und lachte über sich selbst.
Dann sah sie wieder auf, bemerkte, wie es plötzlich kühl wurde, und war mit einem Schlag wieder in der Realität.
Zuerst musste sie sich um ganz andere, wichtigere Dinge kümmern. Sie und Susan würden warten, bis die Mädchen sich nach dem Abendessen in alle Richtungen verstreuten – vor den Fernseher, ins Bett, selten auch mal an die Hausaufgaben. Dann würden sich die beiden zu einer Krisensitzung in der Küche treffen. Zu einem Finanzgipfel gewissermaßen, in dessen Verlauf Pip darauf bestehen würde, über den vollen Umfang des entstandenen Schadens informiert zu werden.
Pip warf einen Blick in die Küche. Flora half Susan noch beim Abtrocknen. Eigentlich war das ja Gypsys Aufgabe gewesen, aber die hatte mittendrin alles stehen und liegen lassen.
Ein Trommeln dumpfer Aufschläge lenkte Pips Aufmerksamkeit auf den Obstgarten. Die Äpfel hingen so dicht an den Ästen, dass diese sich unter dem Gewicht bis zum Gras hinunterneigten.
Der Obstgarten war schon immer der Teil von Arandore gewesen, den Pip am allermeisten liebte. Ein ganzer Hektar sattgrünen Grases und an die fünfzig alte, knorrige Bäume, die Jahr für Jahr fünf verschiedene Apfelsorten in Hülle und Fülle hervorbrachten.
Sie stellte den Kragen ihrer Strickjacke auf, überquerte den Hof und die Einfahrt, bis sie durch die feuchte Wiese stapfte und schließlich inmitten des Apfelparadieses stehen blieb und den Duft einsog.
Die Äpfel eigneten sich weniger zum direkten Verzehr als zur Herstellung von köstlichem, süßem Cider. Nur machte sich leider so gut wie nie jemand die Mühe, die Früchte zu ernten und zu keltern.
Einst hatte Arandore seinen eigenen Cider produziert. Und Wein. Pips unternehmungslustiger Großvater hatte vor langer Zeit die ganze hintere Weide dicht mit Rebstöcken bepflanzt, an denen im Herbst wunderbare, fast schwarze Weinreben hingen. Merlot und Pinot. Dreitausend Flaschen Wein hatten sie im Jahr produziert, und aus den Äpfeln zweitausend Flaschen Cider. Richtig guten Wein und richtig guten Cider. Preisgekrönt. Doch dann war Pops krank geworden.
Niemand hatte sich mehr um die Weinstöcke gekümmert, bald siechten sie dahin wie der Mann, der sie einst gepflanzt hatte, bis die Weide schließlich wieder Weide war.
Heutzutage landeten die meisten Äpfel als Bratäpfel oder gedeckter Apfelkuchen in den Charteris-Mägen, doch auch so mancher Schweinebraten wurde mit einer großen Portion Arandore-Apfelmus gereicht.
Einen einzigen Baum gab es, dessen Früchte, wenn man sie bis ganz zum Schluss hängen ließ, süß genug waren, um sie direkt vom Baum zu essen.
Als Pip noch klein war, hatte dieser Baum sie stets verführt. Wie oft hatte ihr Vater sie auf dem untersten Ast sitzend gefunden, in jeder Hand einen Apfel und den Mund voll saftigen Fruchtfleischs! Und wie oft hatte er gescherzt, wenn sie weiter so viele Kerne verschlucke, würde ihr bald ein Apfelbaum im Bauch wachsen.
»Pip«, hatte er geseufzt, dabei schief gelächelt und den Kopf geschüttelt.
Und seither hatte man sie Pip genannt.
Was so viel hieß wie »Kern«.
Der Obstgarten weckte immer wieder Erinnerungen an ihren Vater. Und an ihren Großvater Pops. Er hatte immer gesagt, man dürfe seine Kinder
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