Der Apotheker: Roman (German Edition)
lass doch das arme Kind in Ruhe«, sagte Annette, aber als ich sie dankbar ansah, wandte sie den Blick ab. »Merkst du denn nicht, wie du sie in Verlegenheit bringst?«
»Die da? Die ist ganz bestimmt keine Mimose. Im Gegenteil, ich möchte wetten, sie besitzt einen scharfen Blick und eine noch schärfere Zunge. Habe ich recht?«
Ich zögerte, schwankend zwischen Unsicherheit und dem Wunsch, ihm gefällig zu sein. Hinter mir murmelte Annette verächtlich. Es war mir bisher nicht aufgefallen, aber ihre Miene hatte etwas von Mrs Blacks Strenge. Ein Gefühl der Abneigung stieg in mir auf.
»Ich denke, Sie haben recht, Sir«, erwiderte ich und wurde mit einem triumphierenden Lächeln belohnt.
»Na, was habe ich gesagt? Dann erwarte ich also regelmäßig Bericht.«
Von da an verlangte der Buchhändler stets die aktuellen Neuigkeiten aus dem Haus des Apothekers zu erfahren und war enttäuscht, wenn ich nicht mit frischen Geschichten aufwarten konnte. Ich bemühte mich, ihn zufriedenzustellen, denn ich fand schnell heraus, wie gut es mir tat, aus dem Gefängnis der Verschwiegenheit auszubrechen. Wenn ich die Ereignisse meines Lebens in der Swan Street in witzige Anekdoten kleidete, verloren sie ihre Bedrohlichkeit, und ich konnte sie leichter verkraften.
Zum Beispiel erzählte ich ihm von jener Nacht, als ich auf dem Weg ins Bett mit dem Apotheker auf der Treppe zusammengestoßen war, er barhäuptig und nackt bis auf eine kleine Decke, und wie er gewettert hatte, der Teufel habe ihm sein Nachthemd gestohlen. Allerdings verschwieg ich, dass der Apotheker ganz nah an mich herangetreten war und mir ins Gesicht gespuckt hatte und dass ich vor Schreck zu Eis erstarrt war. Darin lag schließlich nichts Lustiges. Stattdessen rollte ich nur die Augen, zum Zeichen meines geduldigen Mitleids für meinen Herrn und seine Schwäche für Brandy. Das Lachen des Buchhändlers umgab mich mit einer Rüstung der Leichtigkeit, die mir, wenn ich sie pfleglich behandelte, Stunden oder sogar Tage Schutz bot.
Ich plünderte sowohl mein Gedächtnis als auch meine Fantasie, um mit amüsanten Geschichten aufwarten zu können. So erzählte ich ihm von Edgar und seinem Ungeschick im Labor und, in einem Anflug von Kühnheit, sogar von seinen Plänen, der nächste Gatte meiner Herrin zu werden. Jedoch war ich klug genug, die Krankheit meines Herrn herunterzuspielen, angesichts des – wie ich vermutete – großzügigen Kreditrahmens, den der Franzose ihm einräumte. Gleichzeitig hob ich die Vergeblichkeit von Edgars Sehnen und Trachten und die Unmöglichkeit seines Unterfangens hervor. Ich erzählte von Mary und ihrem Äffchen und wie die beiden von Tag zu Tag dicker und einander immer ähnlicher wurden. Mr Honfleur schüttete sich aus vor Lachen. Das gab mir ein Gefühl der Geborgenheit, zumindest solange ich in seinem Laden war. Aber es fiel mir immer schwerer, zu den erstickenden Schatten in der Swan Street zurückzukehren. Nachts lag ich wach und zehrte von der Erinnerung an unsere Gespräche, bis sie nur noch ein Gerippe waren. Die zerbrochenen Leisten in der Decke zeigten wie Finger auf mich, und über den versteckten Opium-Fläschchen wölbte sich der feuchte Putz.
Je mehr der Frühling an Kraft gewann, desto mehr spürte ich eine Veränderung in mir, als steckten zwei Menschen in meiner Haut. In der Swan Street war ich zaghaft, blass und schweigsam. Wenn ich beim Mittagessen Mary zusah, wie sie mit dem Äffchen herumalberte, wurde mir das Brot im Mund schal. Es war, als hätten die Schatten des Hauses schließlich doch noch von mir Besitz ergriffen. Ich wurde nervös wie Edgar und verdrießlich und grau wie Mrs Black, und mich fröstelte unentwegt.
Aber sobald ich den Laden des Hugenotten betrat, war ich wie verwandelt. Ich wurde kühner und unbedachter. Eines Tages, als er mich nach dem neuesten Klatsch fragte, zwinkerte ich ihm zu und deklamierte dann in dem getragenen Ton, den Annette beim Zitieren an den Tag legte, die Verse:
Violine, Violane,
wie schön ist die Dame,
Violine, Violane,
wie schön ist der Herr.
Wenn die Schlüssel klingen,
wird einer was bringen,
zu Ende ist der Gesang,
und wir rufen: Habt Dank!
Ich wollte nichts weiter als ihn amüsieren, aber noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, wusste ich, dass ich in meinem Übermut zu weit gegangen war. Annette war schließlich seine Tochter. Beschämt und voll böser Vorahnungen starrte ich auf die Ladentheke. Mein Mund war wie ausgetrocknet.
»Sie
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