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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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verstehen es, treffsicher zu parodieren«, meinte er schließlich.
    Ich schluckte und wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen.
    »So treffsicher, dass es mir lieber wäre, wenn meine Tochter nicht zum Gegenstand Ihrer Parodie würde. Sie wollen sie doch gewiss nicht grämen,
n’est-ce pas?
«
    Nach diesem Vorfall gewöhnte ich mir an, auf dem Weg zum Kirchhof den Vortrag meiner Geschichten zu proben, um ja nicht erneut in Annettes Ton zu verfallen. Die meisten meiner Schnurren hatten nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Wahrheit, aber ich hielt Mr Honfleur nicht für jemanden, der einen nüchternen Tatsachenbericht einer amüsanten Anekdote vorzog. Auch wenn Annette Geschichten auf modrigem Papier lieber waren, gedruckt in anstrengenden kleinen Buchstaben, so hatte ihren Vater, wie es schien, die Gelehrsamkeit nicht seines Frohsinns beraubt.
    Ich bemerkte den Handkarren erst, als ich mit dem Schienbein gegen die Deichsel stieß und mit einem Aufschrei der Überraschung und des Schmerzes zu Boden stürzte, sodass der Inhalt meines Korbs auf die Straße kullerte. Die Makrelenhändlerin, ein altes Weiblein mit verhutzeltem Gesicht, überschüttete mich mit Flüchen, während sie die in den Schmutz gefallenen Fische aufsammelte und wieder auf ihr Strohbett legte. Ich schimpfte ebenfalls, und als ich nach dem Buch meines Herrn greifen wollte, stolperten zwei Soldaten in schäbigen Uniformen über mich; einer von ihnen wäre mir mit seinem Stiefel fast auf die Hand getreten. Ihre Gesichter waren aufgedunsen vom Gin, ihre Augen milchig trüb wie die eines neugeborenen Kätzchens. Sie klammerten sich aneinander, und als sie Schulter an Schulter weitertorkelten, klang ihr Lachen brüchig und verzweifelt.
    Ich lehnte mich an die Mauer und inspizierte hastig das Buch. Der Einband schien unversehrt, doch einige Seiten waren zerknittert, und die goldglänzende Schnittkante war eingedrückt. Ich löste die Schnur und schlug das Buch auf, um die Seiten glatt zu streichen.
    Auf der Seite standen nur wenige Zeilen, in einer fremdartigen verschnörkelten Schrift, die aussah wie Ziffern. Darunter prangte eine große Abbildung in Farbtusche, sodass ich mich zunächst mehr an die Volksbücher meiner Jugend erinnert fühlte als an eine gelehrte Abhandlung. Aber während die Volksbücher Bilder von Märchenschlössern und Drachen enthielten, zeigte der Holzschnitt in diesem Buch einen missgestalteten Jungen, wie man ihn gegen Geld auf Jahrmärkten zu sehen bekommt. Nur trug dieser kein Horn auf dem Kopf und war auch nicht über und über behaart, sondern hatte verkümmerte Arme und Beine und an einer Hand nur zwei Finger. Auch reichten seine Beine nur bis dahin, wo andere Menschen das Knie haben. Eines dieser verstümmelten Beine endete in einem Fuß, das andere in einem verdrehten Stumpf, der wie ein Ast aussah. Auf dem Kopf trug er einen feschen grünen Hut mit einer Feder, der fast seine Augen bedeckte.
    Ich blätterte weiter. Erst kam ein leeres Blatt Papier, aber so dünn, dass ich dahinter meine Finger durchschimmern sah, dann folgte ein weiterer kolorierter Holzschnitt, diesmal von einem Mann mit einem zweiten Kopf, der ihm aus dem Bauch herauswuchs. Die nächste Abbildung zeigte einen Jungen mit einem Vogelschnabel, die übernächste einen Mann und ein Pferd, die an den Schultern zusammengewachsen waren, und die folgende schließlich eine erwachsene Frau mit dem Kopf und dem Schwanz eines Affen. Als kleines Mädchen hatte ich die Leute gelegentlich über solche Kreaturen reden hören. Über Frauen, die ihre Begierden mit Tieren, ja sogar mit Fischen befriedigten. Einmal, auf dem Jahrmarkt, hatte ich eine erwachsene Frau gesehen, die nur vierzig Zentimeter maß. Ihre Mutter war von einem Elfen verführt oder erschreckt worden, ich wusste es nicht mehr genau. Die Folgen jedenfalls waren schrecklich.
    Ich leckte an meinem Finger und kostete den intensiven Geschmack von Pergament, während ich weiterblätterte. Selbst ein Laie wie ich erkannte, dass diese Bilder mit beträchtlicher Kunstfertigkeit geschaffen waren. Beim Umblättern schienen mir die Missgeburten mit ihrem stummen Blick zu folgen, als wollten sie mich bitten, sie aus ihrem papiernen Gefängnis zu befreien. Ich spürte, wie sich in meinem Innern etwas zusammenballte, dunkel und verfilzt wie ein Knäuel Haare, aber ich konnte nicht aufhören, mir die Bilder anzusehen. Immer schneller blätterte ich die Seiten um, bis mich etwas innehalten ließ. Meine Hände

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