Der Apotheker: Roman (German Edition)
erstarrten, und das Blut rauschte mir in den Ohren, dass mir ganz schwindelig wurde.
Ein Junge mit einem Hundekopf.
Ich starrte auf das Bild, und die Beklemmung in meiner Brust wurde so übermächtig, dass ich kaum noch Luft bekam. Der Junge war fast noch ein Säugling. Die sanfte Schutzlosigkeit seines blassen, nackten Körpers, die molligen Hand- und Fußgelenke, der zarte Stummel seines Glieds – all das stand in scharfem Gegensatz zu dem Kopf auf seinen Schultern. Es war nicht der Kopf eines niedlichen kleinen Welpen, es war der Schädel eines ausgewachsenen Hundes, kohlrabenschwarz und mit einem mörderischen Ausdruck in den Augen, die mich mit unverhohlener Feindseligkeit anfunkelten. Der Künstler hatte den Hundekopf mit weit aufgerissenem Maul dargestellt, als würde er einen wütend anknurren. Zwischen den nadelspitzen Zähnen hing sabbernd seine scharlachrote Zunge heraus, und Geifer tropfte ihm von den Lefzen. Mir war, als könnte ich das dröhnende Knurren aus seiner Kehle hören und den Pesthauch seines Atems riechen. Das Fell an seinem Hals war verfilzt und stachelig, die Ohren zeigten nach vorn, bereit, jeden Anflug von Schwäche und Angst zu wittern. Ein grässlicher Schädel, der auf den unschuldigen, rundlichen Schultern eines Kindes saß.
Ich schloss die Augen, aber das Ungeheuer ließ nicht von mir ab. Wieder durchlebte ich die entsetzliche Angst, in der stockdunklen Küche zu liegen. Den unfassbaren Schrecken, als das Ungeheuer durch das offene Fenster hereinsprang und brüllte, bis seine Lungen zu bersten schienen, die Zähne strahlend weiß in der Dunkelheit, der Speichel von den Lefzen tropfend, als es näher kam, näher und immer näher …
»Nun?«
Mr Honfleur streckte die Hand aus, um das Buch entgegenzunehmen, eine Sammlung griechischer Mythen. Ich hatte lange die Abbildungen darin betrachtet, aber statt der schlangenhaarigen Medusa oder des in seinem Labyrinth wahnsinnig gewordenen Minotaurus immer nur das hundsköpfige Kind gesehen, mit dem geifernden Maul über der weißen Säuglingsbrust und dem grauenhaften schwarzen Fell auf dem verfilzten Nacken.
»Gefällt es Ihnen auch so gut wie die Geschichten aus dem alten Rom?«
»Rom … ja.« Ich blinzelte. »Das … das ist bestimmt ein schönes Buch.«
Honfleur runzelte die Stirn. »Fühlen Sie sich unwohl? Falls ja, sollten Sie besser nach Hause gehen. Von Fieberkrankheiten werden bevorzugt Franzosen heimgesucht.«
»Ich fühle mich sehr wohl, Sir.«
»Sie sind blass. Gehen Sie nach Hause und lassen Sie sich von Ihrem Herrn, diesem Kurpfuscher, eins seiner Scharlatanmittel verabreichen. Ab mit Ihnen. Und lassen Sie die Tür offen.«
Ich starrte vor mich hin. »Ich überlege, Sir, ob ich vielleicht … ob ich Sie vielleicht etwas fragen darf.«
Honfleur gestikulierte Richtung Tür. Ich stand zögernd da.
»Ich gebe nie ein Versprechen, das ich vielleicht brechen muss«, erwiderte er. »Nun gehen Sie schon.«
Auf der Türschwelle blieb ich stehen. »Ich wollte nur fragen … woran genau arbeitet mein Herr?«
»Wenn er es Ihnen nicht verraten hat, möchte er womöglich, dass Sie es nicht erfahren.«
Ich schluckte und biss mir auf die Lippe. »Bei allem Respekt, Sir«, sagte ich leise, »ich habe Ihnen vermutlich Dinge erzählt, von denen er nicht möchte, dass
Sie
sie erfahren.«
Mr Honfleur verkniff sich ein Grinsen. »Also hatte ich doch recht, dass Sie eine scharfe Zunge besitzen«, meinte er trocken. »Aber wenn Sie auch keck sind, so sind Sie doch nicht ohne Witz.«
Einen Augenblick war es mucksmäuschenstill in dem Laden. Staub tänzelte in einem Sonnenstrahl zwischen den Regalen. Mr Honfleur seufzte und klappte das Buch mit den griechischen Mythen geräuschvoll zu.
»Ach, es ist ja eigentlich kein Geheimnis. Ihr geschätzter Herr arbeitet an einer Abhandlung. Er schreibt daran schon seit einigen Jahren, allerdings ist bisher noch kein Wort davon veröffentlicht worden.«
»Und worum geht es dabei?«, fragte ich im Flüsterton.
»Um die Einbildungskraft von Müttern oder etwas in der Art. Er erklärt immerzu, unmittelbar vor dem unumstößlichen Beweis seiner einzigartigen Theorien zu stehen, aber bisher haben wir nur Zeugnis von seinem Talent, die Ideen anderer, die klüger sind als er, nachzubeten, zu stehlen oder sich auszuborgen. Und von denen gibt es, wie ich gestehen muss, nicht wenige.«
»Die Einbildungskraft von Müttern?«, stammelte ich.
»Die Auswirkungen von starken Gemütsbewegungen,
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