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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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schlüpfte. An der Asche im Kamin entzündete ich ein Binsenlicht und kleidete mich in dessen qualmenden Schein rasch an. Wir könnten gehen, bevor irgendwer unser Verschwinden bemerkte, überlegte ich. Ich hatte noch ein wenig Geld, das uns vor dem bittersten Elend bewahren würde, den Rest der Guineen meiner Mutter. Ich würde für uns beide eine Anstellung finden bei jemandem, der so freundlich wäre, über Marys dicken Bauch hinwegzusehen. So auffällig war er ja nicht, wenn selbst ich ihn übersehen hatte. Ich würde …
    Ich hielt inne, das Mieder halb geschnürt, und ließ wie gelähmt die schweren Arme sinken.
    Ich würde uns beide zugrunde richten.
    Es gab niemanden, den ich um Hilfe bitten konnte. Ohne Empfehlungsschreiben und guten Leumund würde ich niemals Arbeit finden, und ohne Arbeit würde das Geld allenfalls ein paar Tage reichen, um uns am Leben zu erhalten. Wo würden wir wohnen, was würden wir essen, wie lange würde es dauern, bis wir in der Gosse landeten? Mein ganzes Vermögen bestand aus ein paar Shilling und einigen Fläschchen Elixier, die niemand kaufen wollte. Mary besaß nichts außer einem dicken Bauch und dem Aussehen einer Idiotin. Auch ich war kaum besser dran, eine Frau ohne Verwandte und guten Ruf. Von wem konnten wir Mitleid erhoffen?
    Mir gaben die Knie nach. Ich sank auf den Rand des Strohsacks, starrte ins Leere und spürte, wie sich beim Atmen meine Rippen hoben und senkten. Neben mir schnarchte Mary, einen Arm auf der Decke in meine Richtung ausgestreckt. Über uns wanderte Grayson Black rastlos in seinem Zimmer auf und ab. Grayson Black. Der Mörder, Vergewaltiger und Schöpfer von Ungeheuern.
    Unser Herr.
     
    Es dämmerte bereits, als die Tür mit einem Ruck aufgestoßen wurde, sodass in der Anrichte das Zinngeschirr zu scheppern begann. Ich zuckte zusammen. Da warf sich Edgar neben mich auf den Strohsack und packte mich am Arm.
    »Die Medizin, du musst sie stärker machen«, sagte er. »Die Entzündungen … o Gott, sie …«
    Mary bewegte sich im Schlaf und strampelte die zusammengeknüllte Decke von den Beinen. Mir stockte der Atem, als mir plötzlich wieder einfiel, wie Edgar mit verheultem und rotzverschmiertem Gesicht dort gelegen hatte, wo ich jetzt saß.
    Die einzige andere Kur, die Erfolg versprechend scheint, ist, es einer Jungfrau zu besorgen, je jünger, desto besser.
    Edgar torkelte nach hinten, als ich ihm meine Fingernägel durchs Gesicht zog, mit aller Kraft gegen die Schienbeine trat und mit der Faust auf die Nase hieb. Blut schoss heraus und tropfte mir auf die Faust. Hatte er es für sich allein getan? Oder hatte er sich erboten, es für Mr Black zu tun, im Dienst des großartigen Werks seines Herrn? Dass Zeitpunkt und Wahrscheinlichkeit gegen meinen Verdacht sprachen, regte sich in mir als ein schwaches Murmeln, das jedoch machtlos war gegen die blinde Wut meiner Fäuste. So fest ich konnte, rammte ich ihm das Knie in die Weichteile. Stöhnend krümmte er sich zusammen. Da holte ich mit dem Stiefel aus und trat ihm hart in die Kniekehle, um ihm gleich noch einmal mit der Faust auf seine lädierte Nase zu hauen. Vielleicht hatte er sich für seine schmutzige Arbeit sogar bezahlen lassen und so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Hatte er sich selbst zu seiner perfekten List gratuliert, als er Mary, aufgelöst in Tränen und seinen widerlichen Samen auf ihren Schenkeln, auf der Matratze zurückgelassen hatte? Ein erneutes Stöhnen, ein gequältes Ringen nach Luft, bevor er am Tischbein zusammensackte wie ein gefällter Baum.
    Als Mrs Black in der Tür erschien, rappelte sich Edgar mühsam hoch und drehte den Kopf zur Seite, sodass sie seine blutverschmierte Nase nicht sehen konnte.
    »Ihr beide seid in fünf Minuten oben. Später wünscht der Herr Mary zu sehen, doch vorher sind noch Hunderte von Aufgaben zu erledigen.«
    Dann schlug die Tür zu.
    Edgar stöhnte wieder und hielt sich das Gesicht. Angewidert warf ich ihm ein Tuch zu und machte mich daran, mich zu frisieren. Die Zähne des Kamms kratzten mir über die Kopfhaut, was meine Nerven ein wenig beruhigte. Edgar litt still vor sich hin. War das nicht ein kleiner Trost? Edgars Gebrechen war noch nicht augenfällig, weder hatte er verkrusteten Schorf auf der Haut, noch verströmte er faulige Gerüche, wie es im fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit der Fall war. Aber das alles würde noch kommen, und dann wäre er es, der mit Abscheu angegafft und plötzlich einsam und verlassen sein

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