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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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angespannten Nerven ihre schreckliche Musik um es herum anschlugen. Mein Sohn hatte an seiner menschlichen Gestalt festgehalten und sich behauptet. Als ich ihn in meinen Armen wiegte, war nicht das leiseste Anzeichen von etwas Tierhaftem an ihm zu erkennen.
    Trotz allem war er vollkommen gewesen. Trotz der schlimmsten Bemühungen des Apothekers und meiner eigenen Bestrebungen.
    Mein tapferer, unbeugsamer, vollkommener Sohn.
    Die Glocke schellte zum Abendessen, drei Mal und energisch. Ich rührte mich nicht vom Fleck, sondern starrte ungerührt an die Decke und überlegte, wie lange es wohl dauerte, bis jemand losgeschickt würde, um mich zu holen. Nicht sehr lange. Bis dahin würde Mrs Black Mary dafür bestrafen, dass ich nicht in der Küche mithalf. Das hatte sie auch schon früher getan. Ich dachte an Marys sanftes, geduldiges Gesicht und hievte mich mühsam aus dem Bett. Ich ertrug es nicht, die Ursache von noch mehr Leid und Elend zu sein. Mein Gesicht war geschwollen und verkrampft, meine Augen waren verquollen, Haare und Ohren tränennass. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich weinte.
    Mary.
    Der Gedanke ließ mir den Atem stocken. Ihr schlaffer Mund, ihre gespaltene Lippe, ihr kindlicher Verstand – waren auch sie das Ergebnis seiner teuflischen Künste? Wäre Mary vielleicht normal geworden, hätte der Apotheker nur seine Finger von ihr gelassen?
     
    Fest auf das Geländer gestützt, schleppte ich mich taumelnd die Treppe hinunter. Als ich am Arbeitszimmer des Herrn vorbeikam, öffnete sich die Tür einen Spalt, und der Apotheker streckte den Kopf heraus. Sein Gesicht war eingefallen und blass, das purpurne Mal auf seiner Wange grau verkrustet, die Augen waren dunkle Höhlen.
    »Sosehr du mir auch nachstellen magst«, stieß er mit gepresster Stimme hervor, »dir und deinen krebsartigen Umarmungen werde ich mich niemals hingeben. Niemals.« Die Stimme versagte ihm, und er wurde von einem würgenden Husten geschüttelt.
    »Sie Dreckskerl«, flüsterte ich. »Sie schäbiger, gemeiner …«
    »Niemals!«, krächzte er und schlug die Tür mit solcher Wucht hinter sich zu, dass der Treppenabsatz erzitterte.
    »… Dreckskerl!«, brachte ich noch heraus. Es kostete mich große Mühe, nicht auf der Stelle loszuheulen.
    »Hast du die Glocke nicht gehört?« Mrs Black stand auf dem Treppenabsatz vor ihrem Zimmer, die Hände in die Hüften gestemmt, und sah mich mürrisch an. »Antworte, Mädchen! Hat der Herr nach dir gerufen?«, wollte sie wissen. »Nein? Dann sag mir, was du dir einbildest!«
    »Ich …«, sagte ich kaum hörbar. »Nichts.«
    »Nichts. Du unverbesserlicher Nichtsnutz, man müsste dich für deine Beharrlichkeit fast loben, wenn du sie denn bei deiner Arbeit an den Tag legen würdest. Und jetzt scher dich in die Küche, bevor ich dich mit der Peitsche antreibe!«
    Als ich in die Küche kam, hob Mary den Kopf. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt, und die Zunge hing ihr aus dem Mund. Sie reichte mir das Brot für das Abendessen des Herrn und machte ein ärgerliches Gesicht. »Schnell, schnell«, drängte sie.
    Ungeschickt nahm ich das Brot und ließ eine Scheibe fallen. Mary schnalzte mit der Zunge und schob mich ans Feuer, wo ein Topf vor sich hin blubberte. Aber ich stand nur da, die Arme schlaff herabhängend. Am liebsten hätte ich geschrien, geweint, Mary in den Arm genommen und um Verzeihung gebeten für das, was ich ihr und meinem schönen, vollkommenen Sohn angetan oder an ihnen versäumt hatte. Gleichzeitig aber wusste ich nicht ein noch aus, hatte keinen blassen Schimmer, was nun werden würde. Diese Ratlosigkeit steckte mir wie eine Gräte in der Kehle.
    Mir zitterten die Knie, ich sank auf den Stuhl, mit den Händen die Lehne umklammernd, und starrte in die lodernden Flammen. Mary lugte über meine Schulter und sah mich ängstlich an, dann kniff sie mich ins Handgelenk und legte ihre Wange auf meine Schulter. Ihr Kiefer drückte sich mir in den Hals, sodass ich nicht schlucken konnte.
    An jenem Abend erledigte Mary die ganze Arbeit allein. Es war schon spät, und ich wusste, dass ich in die Dachkammer hinaufgehen sollte, aber ich schaffte es nicht, mich von dem Stuhl zu erheben. Als schließlich alle Lichter in den Häusern gegenüber erloschen waren, rollte Mary ihren Strohsack aus, nahm mich beim Arm und drückte mich sanft auf das Lager hinunter. Sie war aufgeregt, ließ aber nicht locker, bis sie mich zugedeckt hatte. Ich wehrte sie nicht ab. Als Mrs Black an die Tür

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