Der Apotheker: Roman (German Edition)
mich Annette. »Bücher sind es, die den Menschen lehren, richtig zu leben. Du dagegen handelst mit Patentmedizin und Lebensversicherungen und beutest die Angst der Leute vor dem Tod aus!«
»Medizin?«, platzte ich heraus.
»Was für ein Unsinn, Annette! Wenn jemand beschließt, zusammen mit seinem Platon ein Döschen Pillen oder eine Police zu kaufen, entwertet das doch nicht die Bücher. Weshalb sollte ein Kunde, wenn er unseren Laden verlässt, nicht nur an Glück, sondern auch an Gesundheit reicher sein?«
»Wodurch Sie, Sir, reicher an klingender Münze werden? Wie überaus praktisch.«
»Tu doch nicht einfältiger, als du bist, Annette. Niemand ist gezwungen, etwas zu kaufen. Und man kann nur dann Profit erzielen, wenn man auf die Bedürfnisse seiner Kunden eingeht.«
»Alles nur leere Weisheit und falsche Philosophie«,
erwiderte Annette und kniff den Mund zusammen.
»Mit solchen Sprüchen, Tochter …« Mr Honfleur warf die Hände in die Luft und blickte mich mit verdrehten Augen an. »Ja, wirklich, sie ist unmöglich. Wir werden sie einfach nicht mehr beachten. Sie kann sich ja mit der Bestellung Ihres Herrn beschäftigen. Und Sie, setzen Sie sich hierher, neben mich, und erzählen Sie mir die Neuigkeiten aus dem Haus des Apothekers.«
Aufgewühlt, wie ich war, konnte ich mich nicht setzen. Ich starrte den Buchhändler an und wurde immer aufgeregter. »Mr Honfleur, verkaufen Sie wirklich Patentmedizin? Ich hätte …«
»Mon Dieu!«,
rief Mr Honfleur. »Kein Wort mehr davon! Ihr Frauen … ich bin des Themas überdrüssig. Sprechen wir lieber über erfreuliche Dinge. Annette! Das hier muss sofort erledigt werden!«
Ich wurde puterrot. Das Buch vor sich, blickte mich Annette kühl an, ein schales Lächeln auf den Lippen. Am liebsten wäre ich ihr auf ihren hübschen kleinen Fuß getreten. Aber stattdessen legte ich alle Fröhlichkeit an den Tag, die mir zu Gebote stand, und gab eine verworrene Geschichte über die neuesten Streiche des Äffchens zum Besten. Doch während meine Zunge durch die Sätze stolperte, war mein Kopf von einem einzigen Gedanken erfüllt. Medizin. Hier. Ausgerechnet hier. Ich sah, wie Mr Honfleur auflachte, und das Herz schlug mir bis zum Hals.
»Wenn Ihnen Affen so gefallen«, sagte er kichernd, »müssen Sie einmal in die Exchange Alley mitkommen. Dort sind mehr Affen versammelt als in den Tropenwäldern.«
Es gelang mir zu lächeln. Meine Wangen glühten, und ich spürte, wie mir zwischen den Brüsten der Schweiß zusammenrann.
»Und jetzt muss ich zu einer Verabredung. Guten Tag, meine Liebe. Wir müssen hoffentlich nicht erneut so lange warten, bis wir uns wiedersehen.«
Er winkte uns zum Abschied zu, richtete sich die Perücke und verschwand. Langsam ließ Annette das Buch sinken und seufzte. Gemächlich wie eine Schnecke griff sie nach den Büchern des Apothekers. Da nahm ich meinen Korb, stürmte aus dem Laden und blickte mich suchend um, bis ich ihn entdeckte, wie er sich Richtung Paternoster Row durch die Menge schob.
»Mr Honfleur, Sir, bitte warten Sie!«, rief ich. Er drehte sich um, runzelte ein wenig die Stirn, und ich hielt ihn am Ärmel fest. »Verzeihen Sie, Sir, nur eine Sekunde, bitte. Ich …«
»Sie vergessen sich, mein Kind«, sagte Mr Honfleur, wenngleich nicht unfreundlich, und löste meine Finger von seinem Arm.
»Entschuldigen Sie, Sir. Es ist … es ist nur … es gibt … ich will sagen, ich habe … also, Sie haben … Annette sprach von … Sie verkaufen Patentmedizin, nicht wahr? Und, nun ja, da gibt es … das heißt, ich habe da etwas … ich nenne es Tallys Elixier. Hier, hier in meinem Korb. Es ist fast ein Wundermittel und verschafft Linderung auch bei den schlimmsten Beschwerden. Sehen Sie sich nur Mr Black an. Es ging ihm so schlecht, und jetzt … und ich … also, als Sie sagten …«
Mr Honfleur sah mich aufmerksam an. Dann, ganz langsam, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Sie möchten mir ein Heilmittel verkaufen, das Sie Ihrem Herrn gestohlen haben?«
Obwohl er immer noch lächelte, legte sich seine Stirn skeptisch in Falten. Schlagartig begriff ich, wie sehr ich mich verschätzt hatte. Der Buchhändler fand mich amüsant, vielleicht sogar bezaubernd, jedenfalls nicht so schlicht, wie er anfangs gedacht hatte. Aber mein Herr war sein Kunde und ebenfalls Geschäftsmann. Im Unterschied zu den wechselseitigen Verpflichtungen zwischen den respektablen Bürgern Londons war das Verhältnis zwischen
Weitere Kostenlose Bücher