Der Apotheker: Roman (German Edition)
würde. Welche Hoffnung hätte er dann noch, die letzten Reste des Black’schen Vermögens an sich zu raffen? Er würde einen grässlichen Tod sterben, sein Körper würde von innen heraus zersetzt werden, und sein nichtiger Ehrgeiz wäre verfault wie sein Fleisch.
Hier witterte ich meine Chance. Edgar glotzte mich groß an und mahlte mit den Zähnen, als ich ihm meine Bedingungen darlegte. Er war zwar kein großes Licht, hatte aber genügend praktischen Verstand, um zu erkennen, dass ihm keine andere Wahl blieb. Mein Schweigen war womöglich noch viel wichtiger für ihn als meine Medizin. Mit Bitten und Drohungen versuchte er, an mein Gewissen, mein Schamgefühl und meinen Selbsterhaltungstrieb zu rühren. Aber ich gab ihm kühl zurück, dass ich von diesen drei Eigenschaften nur eine besäße und keine andere Möglichkeit hätte. Meine Bedingungen standen fest. Fünf Shilling die Woche für mein Schweigen und weitere fünf für die Medizin – so und nicht anders.
»Du niederträchtige Blutsaugerin«, zischte er, als er mir die erste Zahlung überreichte. »Das wird dich noch teuer zu stehen kommen.«
Ich machte einen Knicks und sah ihn dabei grimmig an. »Bitte beehren Sie uns bald wieder, Sir. Wir bedanken uns herzlich für Ihre Treue.«
An jenem Abend nähte ich die Münzen, die Edgar mir gegeben hatte, in den Saum meines Kleides ein. Dadurch zog es zwar beim Gehen ein wenig auf die eine Seite, aber das war mein erstes Vorgefühl von Freiheit.
Unter den Tüchern in der Küchenanrichte waren die aus Schwertlilienwurzeln hergestellten Gebärmuttereinlagen inzwischen getrocknet; sie sahen aus wie verschrumpelte Schmetterlingspuppen. Als ich sie in die Hand nahm, zerkrümelten sie und hinterließen auf meiner Haut braune Flecken. Ich warf sie ins Feuer und sah zu, wie sie lichterloh in einer orangefarbenen Flamme brannten.
Ich stellte keine weiteren mehr her. Es war viel zu spät für eine Behandlung mit Schwertlilien. Einen Fötus abzutreiben, der bereits so groß war, würde stark wirkende Mittel und gefährliche Eingriffe erfordern, die das Leben der Mutter in höchste Gefahr brachten. Für mich selbst wäre ich ein solches Wagnis eingegangen. Aber Mary konnte ich das nicht antun. Entsetzlich die Vorstellung, wie sie sich schreiend auf ihrem Strohsack winden würde, die Wangen aschgrau, das Haar fettig und schweißgetränkt, unter ihr eine Lache scharlachroten Bluts. Für Mary war es ungefährlicher, das Wesen auszutragen, gleich, welche Schrecknisse uns dann erwarteten. Unser Herr wollte das Ungeheuer, nicht Mary. Jeden Tag bestellte er sie zu sich. Die Stunden, die sie mit ihm verbrachte, legten sich mir wie Schlingen um den Hals, die sich immer fester zuzogen und mir die Luft abschnürten. Ich nahm immer wieder dieselben Arbeiten in Angriff, ohne sie zu Ende zu führen. Nachts starrte ich an die Decke und erstellte im Geiste Listen.
Eine Liste von Kräutern, die eine Frühgeburt einleiten können: Alkannawurzel, Anemone, Berberitze, Adlerfarn, Zaunrübe, Bergminze, Schwertlilie, Nieswurz, Ysop, Giftwacholder, Wurmkraut.
Eine Liste der Wörter, die ich bei meinen Leseübungen gelernt und mir gemerkt hatte: Konstabler, Kapriole, Kartograf, Katechet, Katarakt.
Eine Liste mit den Gefahren der mütterlichen Einbildungskraft, vor denen man mich in der Kindheit gewarnt hatte: Uriniert eine werdende Mutter auf einem Kirchhof oder tritt sie über einen Wassergraben, wird ihr Kind Bettnässer. Späht sie durch ein Schlüsselloch, wird es schielen. Hüllt sie einen Leichnam in ein Tuch, wird das Kind blass und kränklich. Verschüttet sie Bier auf ihre Kleider, wird es zu einem Trinker. Isst sie gesprenkelte Vogeleier, wird die Haut des Kindes mit Sommersprossen übersät sein.
Eine Liste mit den Zukunftsaussichten einer mittellosen Frau ohne Anstellung: Diebin, Hure, Bettlerin, Leiche.
Eine Liste der Gegenmittel zum Fluch der mütterlichen Einbildungskraft: Kreuzt ein Hase deinen Weg, zerreiße dein Kleid. Denke an Götter und Helden. Taufe das Kind mit Weihwasser. Meide es, Krüppel und Verbrecher anzusehen, die man gehängt hat.
Eine Liste der Aufgüsse gegen französische Pocken: Seidelbast. Sarsaparille. Seifenkraut. Lavendelöl mit Löwenzahn, Klette und Ampfer. Walnuss.
Eine Liste der Mittel, mit denen man einen Menschen töten kann: Eisenhut. Blätterpilze und andere Giftpilze. Die Blüten der Butterblume, in Wein destilliert. Die Wurzeln der Osterglocke, gekocht und anstelle von Zwiebeln
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