Der Apotheker: Roman (German Edition)
bekommen hat, wie anfällig meine Konstitution ist & welch schwere Anforderungen mir meine wissenschaftliche Arbeit abverlangt. Wenn ich sie tadele, schürzt sie nur die Lippen & lächelt geziert & wackelt mir in ihrer hurenhaften Manier mit den Hüften entgegen, aber damit werde ich mich nicht besänftigen lassen. Ich hätte gute Lust, auf der Stelle zu ihr zu gehen, jetzt, da sie schläft, damit sie das volle Ausmaß meines Missfallens kennenlernt. Wir werden sehen, wie ihr das gefällt, vor mir zu stehen in einer solchen Nacht, in nichts als ihrem dünnen Nachtgewand. Auspeitschen & eine Nacht im Kohlenkeller würden gewiss ihr Gedächtnis schärfen & ihr den aufrührerischen Geist austreiben.
III
N atürlich gab ich meiner Mutter die Schuld. Sie war alles, was mir geblieben war. Außerdem ist es am leichtesten, auf jemanden einzuprügeln, der nicht einmal versucht, sich zu wehren. Die Ungerührtheit eines solchen Menschen lässt einen nur noch zorniger werden und noch härter zuschlagen. Das wusste schon Unser Herr Jesus. Man denke nur an seine Aufforderung, dem Feind auch noch die andere Wange hinzuhalten. Ein Narr, wer das als Vergebung, als demütiges und klagloses Ertragen von Ungerechtigkeit ansieht. Im Gegenteil, die andere Wange hinzuhalten ist ein wohlüberlegter Angriff und auf quälende, brillante Weise grausam. Denn wenn wir wie rasend auf unser Opfer einschlagen und es sich dennoch weigert, seinen Schmerz zu zeigen, was wird dann aus unserem eigenen Schmerz, der uns den Verstand raubt? Er muss einem schier den Schädel aufreißen.
Als Mama Tally am nächsten Tag kurz nach Mittag schließlich wiederkam, den Rock über und über dreckverklumpt, sah sie erschöpft aus. Ihr Gesicht war gleichsam in sich zusammengefallen, als wären die Knochen, die es unter der runzligen Haut stützten, zu Staub zerfallen. Grußlos und ohne ihren Umhang abzulegen, sank sie auf den Stuhl neben dem leeren Kamin und schloss die Augen. In den endlosen Stunden der Nacht hatte ich geglaubt, alle Hoffnung sei verloren. Aber ein verzweifeltes Fünkchen Zuversicht musste in mir überlebt haben, denn erst als ich das Gesicht meiner Mutter sah und wie sie mit bleischweren Beinen über den Boden schlurfte, erlosch auch diese letzte schwache Glut. Mein Herz verschloss sich wie eine Faust, und meine Nase kribbelte, aber ich weinte nicht.
Stattdessen stieg bitterer, giftiger Zorn in mir auf. Am liebsten hätte ich den Hocker nach ihr geschleudert, sie gebissen, getreten und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Sie an den Schultern gerüttelt, bis ihr die wenigen Zähne, die ihr geblieben waren, aus dem Mund fielen. Ihre ganze Haltung reizte mich, ihr Gewalt anzutun. Aber ich rührte mich nicht, sondern starrte sie unter meiner Haube grimmig an, den Kopf entschlossen gesenkt, und schwieg. Selbst als die Zorneswoge in mir anschwoll, hielt ich mir noch meine Beherrschtheit zugute. Sollte sie doch als Erste den Mund auftun. Hätte ich sie nach Neuigkeiten gefragt, hätte ich ihren Zustand gleichsam geadelt und mich zur Komplizin ihres Versagens gemacht. Ich hatte weder das eine noch das andere im Sinn. Schließlich war sie es, die diesen teuflischen Pakt eingefädelt und meine Ehre aufs Spiel gesetzt hatte. Mein guter Ruf war mein einziges Kapital gewesen. Jetzt, mit einem einzigen Würfelwurf, war er dahin. Mein Leben war zu Ende. Ich würde meine Mutter bis in alle Ewigkeit hassen.
Mama Tally seufzte und sackte auf dem Stuhl noch tiefer in sich zusammen. Das Kinn sank ihr auf die Brust. Ich biss die Zähne zusammen. Soll sie es doch sagen. Soll sie doch endlich sagen:
Ich bin schuld an deinem Unglück. Ich habe uns beide zugrunde gerichtet.
»Salbeitee«, flüsterte sie, ohne die Augen aufzuschlagen. »Brüh mir etwas Salbeitee, Mädchen. Ich habe einen weiten Weg hinter mir und noch nicht gefrühstückt.«
Ich schleppte mich zum Feuerrost und setzte den schwarzen Kessel mit solcher Wucht auf die Flammen, dass die eiserne Halterung gegen den Kamin schlug. Mama Tally zuckte zusammen, sagte aber nichts. Schweigend verfolgten wir, wie das Wasser zu kochen begann und dem pfeifenden Kessel ein dünner Dampfstrahl entwich.
»Und nun?« Die Worte platzten aus mir heraus, bevor ich sie aufhalten konnte.
»Und nun?«, wiederholte meine Mutter und starrte dabei auf die knorrigen Hände in ihrem Schoß.
Ich lachte auf, als ich das kochende Wasser in die Teekanne goss und mir dabei die Finger verbrühte. Es klang wie ein hysterisches
Weitere Kostenlose Bücher