Der Apotheker: Roman (German Edition)
gewonnen, mich hierzubehalten, sondern viel verloren. In London könne ich eine bessere Zukunft finden, wahrscheinlich sogar eine bessere als diejenige, die ich bereits verspielt hatte.
Eine Zeit lang war ich dumm genug, über ihre Worte nachzugrübeln und mir einzubilden, sie würde für mich sorgen, wie es sich für eine Mutter gehört, und ihr würde tatsächlich nur mein Wohl am Herzen liegen. Einige Tage lang gingen wir freundlicher miteinander um. Sie kochte mir wohlschmeckende Brühen zur Linderung meiner Übelkeit und massierte mir die verspannten Schultern. An einem Lederband befestigte sie eine Hasenpfote, die ich mir als Glücksbringer um den Hals hängen sollte. Ich nahm ihre Freundlichkeit mit einer Art Dankbarkeit entgegen und gab nicht mehr ausschließlich ihr die Schuld an meinem Unglück. Als mir wieder einfiel, wie leidenschaftlich sie mich verteidigt hatte, verspürte ich einen warmen Anflug von Zuneigung für sie. Als die Zeit des Aufbruchs näher rückte, hatte ich sogar das Gefühl, dass sie mir vielleicht ein wenig fehlen würde. Wenn sie mir nachts im Schlaf die Hand auf die Schulter legte, schob ich sie nicht beiseite.
Und dann entdeckte ich es. Ich hatte nicht danach gesucht, nicht gezielt. Nicht nach dem, was ich schließlich fand. Als ich die lose Steinplatte hochhob und die feuchte Rückseite des Schranks abtastete, hatte ich nicht vor, etwas an mich zu nehmen, was mir nicht gehörte. Ich war einfach neugierig, und mir blieb nicht mehr viel Zeit. Mein Leben sollte in einer mir unbekannten Stadt eine neue Richtung einschlagen. Wenn ich unser Häuschen nie mehr wiedersehen sollte, wollte ich zumindest seine Geheimnisse mit mir nehmen. Ich wusste von dem Gewerbe meiner Mutter. Frauen mit einem Kind im Bauch kamen zu uns; wenn sie gingen, war ihr Bauch leer. Eine schreckliche Vorahnung stieg in mir auf, als ich am bröckligen Mauerwerk des Kamins herumtastete. Über dem Sims, wo der Schinken zum Räuchern aufgehängt wurde, stießen meine Finger auf einen harten und ein wenig schmierigen Gegenstand. Es war ein Päckchen, eingehüllt in ein Stück Öltuch. Mir kam der Gedanke, es einfach dort liegen zu lassen, mir die Hände an der Schürze abzuwischen und es zu vergessen.
Aber ich konnte es einfach nicht. Meine Hand zitterte, als ich es herauszog und auswickelte. Und da waren sie. Aufgerollt wie eine dicke Scheibe Fleisch, eingeschlagen wie ein Toter in ein Leichentuch, fünf glänzende goldene Guineen.
Daraus Nutzen ziehen.
Wie muss sie sich ins Fäustchen gelacht haben, als ich ihr gegenüber immer nachgiebiger wurde. Wie muss sie meiner Abreise entgegengefiebert haben, damit sie die Münzen in einer Reihe auf das Bett legen und mit ihren gierigen Fingern über das schimmernde, makellose Metall streichen konnte. Also doch ein Sieg zu guter Letzt. Die Zukunft ihres einzigen Kindes verkauft, um selbst angenehm zu leben.
In den verbleibenden Nächten schlief ich eingehüllt in eine Decke auf dem Fußboden, und wenn ich aufstand, waren meine Glieder steif und kalt. Ich antwortete ihr nicht mehr und beachtete sie nicht im Geringsten. Ich konnte ihren Anblick kaum noch ertragen. Das Knarren ihres Lederkorsetts oder ein Hauch ihres Altweibergeruchs genügte, um mich in blinde schwarze Wut zu versetzen.
Als der Tag des Aufbruchs gekommen war und der Fuhrmann meine Truhe auf den Karren hob, der mich zur Poststation bringen sollte, blickte ich stur geradeaus, die Augen auf den gleichförmig weißen Himmel geheftet. Meine Mutter zögerte, als wollte sie etwas sagen. Dann drehte sie sich um und schloss leise die Haustür hinter sich. Schroff wies ich den Fuhrmann an, sich zu beeilen. Er zuckte träge mit den Schultern, kratzte sich zwischen den Beinen, hustete und spuckte bedächtig in den Graben, bevor er schließlich seinen massigen Körper neben mich auf den Kutschbock hievte. Als er mich anstupste, warf ich ihm einen finsteren Blick zu. Da ließ er lachend dem Pferd die Zügel auf die Kruppe klatschen, und mit einem Ruck fuhren wir los.
Ich hatte die Guineen in das Futter meines wollenen Unterrocks eingenäht, zusammen mit der Hasenpfote, meinem Glücksbringer. Mir gefiel die Vorstellung, wie die Münzen nacheinander von der sanften Pfote getätschelt wurden wie Kinder. Doch die Münzen zerrten an dem dicken Stoff, sodass sich mein Rock an der splittrigen Holzbank verfing. Bei abrupten Bewegungen merkte ich, wie sie hin und her rutschten und mit dumpfem Geklapper gegen die Wand des Karrens
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