Der Apotheker: Roman (German Edition)
erwachte, schnitt ein greller Lichtstrahl durch die Bettvorhänge. Ich blinzelte schlaftrunken und richtete mich auf einen Ellbogen gestützt auf. Ich trug ein Nachthemd aus weißem Leinen mit Spitzenbesatz, das ich als kleines Mädchen bekommen hatte. Die dankbare Patin eines der Kinder, denen meine Mutter zur Geburt verhalf, hatte es ihr zur Taufe geschenkt. Obwohl das Gewand schon lange verschlissen war, wunderte ich mich nicht, dass ich es anhatte. Der Stoff war sanft wie ein Kuss, und ich erschauderte, in meinem Bauch kribbelte es vor wohliger Lust.
Nachdem ich die Vorhänge beiseitegeschoben hatte, war das Zimmer lichtdurchflutet. Er war nicht da. Die Enttäuschung versetzte mir einen Stich, obwohl ich mich dafür schalt, dass ich ihn erwartet hatte. Er kam ja nie vor dem Mittagessen. Doch meine Mutter stand am Fenster, mit dem Rücken zu mir, und schüttete Wasser in die gelbe Schüssel mit dem Sprung. Sie trug eine Haube aus Musselin, die ich noch nie an ihr gesehen hatte und deren Zipfel ihr lose über die Ohren hingen. Ich rief zu ihr hinüber. Sie drehte sich um. Die Haube war mit einer Krause von derart hellem Weiß gesäumt, dass ich die Augen abschirmen musste. Als ich wieder aufblickte, erkannte ich, dass es gar nicht meine Mutter war. Es waren seine blonden Locken, die unter der Haube hervorlugten und sich um sein umschattetes Gesicht ringelten. Sein Gesicht und doch nicht sein Gesicht, sondern etwas viel Seelenloseres, kantige Züge, überspannt mit einem groben Gewebe aus dichtem, dunklem Fell. Ich sah seine aufblitzenden Zähne, als er den Krug hoch über den Kopf hob und seinen Inhalt ausgoss. Nicht Wasser, sondern Blut, ein schrecklicher, unaufhörlicher Strom von Blut, darin große, schwarze, sehnige Klumpen, die mit grausigem Platschen auf dem Steinboden aufschlugen.
Mühsam und mit heftig pochendem Herzen richtete ich mich auf. Der Schrei steckte mir wie eine Gräte in der Kehle. Es war immer noch dunkel. Das Mieder schnürte mir die Brust zusammen, sodass ich kaum noch atmen konnte. Ich griff mit zitternder Hand hinter mich, um die Bänder zu lockern. Zwischen meinen Schulterblättern sammelte sich Schweiß. Blutige Klumpen glitten durch die dunklen Falten des Bettvorhangs. Ich presste mir die Fäuste auf die Augen, bis die Röte verschwamm. Aber ich wusste, was ich gesehen hatte. Ich konnte nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Ich war dem Teufel begegnet, und der Teufel, der stets jeden betrügt, der sich auf ihn einlässt, hatte seinen Anspruch auf mich erhoben. Auch wenn ich ihm vielleicht entkam, solange ich auf Erden lebte, hatte er mir doch unmissverständlich klargemacht, dass meine Seele ihm gehörte. Ich hatte mich gegen Gott und das Gute versündigt, und keine noch so verzweifelte Bitte um Vergebung würde mich wieder in den Stand der Gnade versetzen. Ich war verdammt und würde für alle Ewigkeit in den Schwefelflammen der Hölle schmoren.
Diese Sätze schreibe ich ganz ruhig nieder, ohne dass mein Federkiel zittert. Ich bin jetzt älter und habe zu viel von der Welt gesehen, um vorbehaltlos an die Wahrheit von Träumen oder die Zornesausbrüche eines gnadenlosen und rachsüchtigen Gottes zu glauben, wie sie im Alten Testament beschrieben sind. Es ist gewiss schwerer, sich selbst seine Narrheiten und Fehler zu vergeben, als es für Ihn ist, der über so viele Sünder zu richten hat. Aber damals war ich jung und unwissend und so voll drängender Gefühle, dass mir, so glaube ich, vergeben wird, wenn ich sie für wirklich gehalten habe. Ich hielt mich für lebensklug, weil ich eine bessere Erziehung hatte als die meisten in meiner Umgebung, hinlänglich lesen und sogar ein wenig schreiben konnte. Ich wusste viel über die Pflanzen und Kräuter in unserem Sprengel. Und ich hatte Erfahrung mit einem Mann, hatte im Bauch und an den Fußsohlen das grandiose Beben der Ekstase verspürt. Vielleicht ist es daher kein Wunder, dass ich glaubte, ich könnte meinen Instinkten trauen.
Welchen Schutz hatte ich damals gegen die Angst? Nur die rußige Flamme eines Binsenlichts, vor dem ich zusammengekauert saß, bis eine erbarmungslose weiße Morgendämmerung allmählich die Dunkelheit vom Himmelssaum vertrieb und ihre bleichen Finger durch die verbliebenen Blätter der Bäume vor meinem Fenster streckte.
Montag, 9 . Oktober
Was für ein Abend! Da kümmert es mich kaum, dass trotz meiner ausdrücklichen Anweisung diese vermaledeite Schlampe von einer Dienstmagd schon wieder
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