Der Apotheker: Roman (German Edition)
Tagen kam mir Mr Honfleur wieder in den Sinn, und ich war erstaunt, wie weit entfernt er mir schien, sein Gesicht ganz klein und verschwommen, seine Stimme kaum vernehmbar. Im Gully jenseits des Fensters floss ein Strom von endloser Zeit und Ereignissen. In diesem Zimmer hier waren wir sicher, zumindest vorläufig, aber gleichzeitig waren wir von der Welt abgeschnitten, wie auf einer einsamen Insel, während die Stadt um uns herum brauste und wirbelte. Es würde immer so weitergehen – die Heimlichtuerei, die Angst, die hastigen, verstohlenen Streifzüge auf der Suche nach etwas zu essen, die Krämpfe in meinem Bauch, sobald ich eine Frau mit einem scharfen Profil erblickte oder Stimmen im Treppenhaus hörte. Wir mochten der Swan Street entflohen sein, aber ohne die Mittel, für immer der Stadt zu entfliehen, wären wir Gefangene dieses Dreckskerls. Und würden es bleiben, bis er die Suche nach uns aufgab. Bis er sich geschlagen gab.
Plötzlich schoss mir ein Schwall Speichel in den Mund.
»Petey!«, rief ich. »Hast du Papier und Tinte?«
AN MISTER BLACK DEN APOTHEKÄR IN DER SWAN STREET
MARIE IST AUF EIGNEM WUNSCH BEI MIR BETRACHTEN SIE DISEN BRIEF ALS MITTEILUNG VON IHR SELBST
SIE LIEGT IN DEN WEHEN
WENN SIE SIE SEHN WOLLEN UND AUCH DAS KIND KOSTET ES SIE 10 PFUHND IN GOLD . KEINE SCHEINE . ICH KOMME MORGEN VORBEI HALTEN SIE DIE SUMME BEREIT
WENN SIE NICHT ZALEN ODER MIR IRGENDWAS BÖSES ANTUN WERDEN SIE MARIE ODER DAS KIND NIEH WIEDERSEHN
ICH MEIHNE DAS GANZ ERNST
ELIZA
XLI
E s war von Anfang an offensichtlich, dass Petey der Plan nicht behagte. Er fürchtete, dass das Beruhigungsmittel nicht richtig wirkte, hielt den Plan, wie wir das Äffchen zurückbekämen, für riskant und schlecht durchdacht, die Wahrscheinlichkeit eines Missgeschicks für viel zu hoch. Er hatte, schlicht gesagt, nicht die geringste Lust mitzumachen. Als mir nichts mehr einfiel, womit ich ihn überzeugen konnte, und ich ihm Geld anbot, zeigte mir sein Gesichtsausdruck, dass ich einen Fehler begangen hatte, der nicht wiedergutzumachen war.
Seine Zuneigung für Mary gab schließlich den Ausschlag. Konnte Petey auch kaum einen untadeligen Ruf als redlicher Geschäftsmann für sich reklamieren, so war er im Grunde doch ein anständiger und warmherziger Mensch und ehrbarer als die meisten sogenannten Gentlemen. Als er begriffen hatte, wie schändlich Mary missbraucht worden war, konnte er nicht beiseitestehen.
Und so machten wir uns zwei Tage später, kurz nach ein Uhr nachts, auf den Weg in die Swan Street. Marys Fieber war zuletzt ein wenig abgeklungen, und sie war in einen leichten, keuchenden Schlaf gefallen. Es kostete uns Überwindung, sie allein zu lassen. Die Nacht war dunkel, der abnehmende Mond von Wolken umhüllt, und Petey trug eine kleine Fackel, wie die Nachtwächter sie hatten. Am Ende der Gasse trennten wir uns wie vereinbart. Er bezog in einem Hauseingang Stellung, die brennende Fackel erhoben, und ich raffte meine Röcke zusammen und lief zum Haus meines ehemaligen Dienstherrn. Ich musste nicht vorspiegeln, als sei ich außer Atem, als ich mit aller Kraft an die Eingangstür pochte.
»Mr Black, Mr Black! Ich bin es, Eliza, ich habe dringliche Neuigkeiten. Wachen Sie auf!«
Ich pochte so lange, bis ich das Klappern von Schuhen auf der Treppe hörte. Die Tür ging einen Spalt weit auf, und ein schläfriges Gesicht spähte heraus.
»Edgar, in Gottes Namen, mach auf!«, rief ich. »Ich muss mit deinem Herrn sprechen.«
Im oberen Stock fiel eine Tür zu.
»Was zum Teufel …?«
»Sie ist hier?«, fiel Mr Black seiner Frau ins Wort. »Diese gemeine kleine Hure ist hier?«
Edgar schnitt eine Fratze der Verständnislosigkeit und öffnete die Tür. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich komme nicht rein. Wir werden hier miteinander sprechen oder gar nicht. Ich habe den Nachtwächter gebeten zu warten.« Dabei deutete ich in Richtung Petey. »Zu meiner Sicherheit.«
Der Apotheker war so schwach geworden, dass Edgar seine Kerze abstellen und ihn die letzten Treppenstufen hinuntertragen musste. Es schien Edgar keine Mühe zu bereiten, ihn hochzuheben. Mrs Black folgte den beiden, ihr weißes Nachtgewand schwebte die Stufen hinab wie ein Aschewölkchen. Die Knöchel der Hand, mit der sie das Treppengeländer umklammert hielt, schimmerten blassgelb.
Edgar setzte den Apotheker auf einen Stuhl an der Schwelle. Sein an einen Totenschädel gemahnendes Gesicht war grau, und als er sich vorbeugte,
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