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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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begaffen konnte. Und für einen Shilling durfte man vielleicht sogar mit einem Stock auf sie einstechen und staunen, dass sie aufstöhnten und Tränen weinten, fast wie richtige Menschen.
    Es kam mit einem großen Schwall Schleim und Blut. Der Scheitel des Kindes war dunkel und mit Haarsträhnen verklebt. Ich wagte nicht, es anzusehen, sondern packte Mary bei der Hand und drängte sie, noch fester zu pressen. Sie schrie und wand sich und flehte zu Gott und all seinen Engeln, sie sterben zu lassen, und dann, mit einem schrecklichen Stöhnen, biss sie die Zähne zusammen und trieb das Kind aus. Ich musste nur meine Hände unter seine Ärmchen legen, ein wenig ziehen, und schon war es draußen. Der kleine Körper hing wie eine Wurzel an dem ballonförmigen, großen Kopf, darunter die pulsierende Nabelschnur, blau und fettig. Ohne den Säugling anzusehen, nahm ich das Messer und schnitt sie durch. Sie war zäh und muskulös wie der Hals eines Lämmchens. Das Kind öffnete Mund und Augen, so weit es konnte, und krümmte sich wütend. Dann schrie es.
    Mary wimmerte und hielt sich mit den Händen die Ohren zu. Ich tröstete sie leise, während ich das Kind wusch. Ich legte es auf das saubere Stück Musselin am Boden, kniete mich davor und zwang mich, es nüchtern und sachlich zu untersuchen.
    Inzwischen sickerte ein wenig dämmriges Licht durch das Fenster. Das Wesen besaß weder Wimpern noch Brauen oder sonst wie menschliches Haar. Sein ganzer Körper war vielmehr mit einem Flaum bedeckt, der nicht schwarz war, wie ich befürchtet hatte, sondern hell und weich wie Pusteblumen. Dazu ein faltiges Gesicht mit verzerrten Zügen und unnatürlich lange Gliedmaßen, die Fingerknöchel nach innen gewölbt wie bei größeren Affen, die die Hände zum Gehen benutzen. Seine Hoden, deren Anblick ich kaum ertrug, waren seltsam vergrößert und dunkelrot.
    Das war es also. Es war nicht zu leugnen.
    Der Apotheker hatte sich sein Ungeheuer erschaffen.
    Rasch wickelte ich das Affenbaby in die Tücher. Als ich es in den Armen hielt, strampelte es und öffnete suchend den Mund. Es kreischte und suchte stupsend meine Brust. Ich schluckte meine Aufregung hinunter, hielt es auf Abstand und zog ihm das Tuch so über den Kopf, dass das Gesicht nicht mehr zu erkennen war. Das Bündel war leicht wie eine Handvoll Wäsche.
    Mary auf ihrem Strohsack seufzte und schloss die Augen. Die Angst riss mich aus meiner Betäubung.
    »Nein, Mary, nein. Du darfst nicht schlafen!«, schrie ich. »Ich habe Wein für dich aufgehoben. Der wird dich wieder ein wenig zu Kräften bringen.«
    Ich legte das Bündel auf dem Boden ab und holte die Flasche aus der hölzernen Teekiste. Hinter mir begann das Bündel zu wimmern.
    »Um Himmels willen, still!«, zischte ich. »Willst du, dass man uns entdeckt? Hier, Mary, trink!«
    Ich kniete mich neben Mary und hielt ihr die Flasche an die Lippen, aber sie drehte den Kopf beiseite und presste die Lippen zusammen. Mit den Händen auf den Ohren wiegte sie sich vor und zurück. Ihr Wehklagen übertönte selbst das Kreischen des Bündels.
    »Soll aufhören«, jammerte sie immer wieder. »Soll aufhören.«
    Das Wesen auf dem Boden schrie ohne Unterlass, strampelte in den engen Windeln und drückte mit den Knien Beulen in die Tücher. Ich kauerte mich daneben und legte ihm die Hand auf die Brust, als könnte ich damit die Schreie in die Lungen zurückdrängen. Doch es hörte nicht auf. Da fiel mein Blick auf mein Schultertuch, das im Korb lag. Es wäre ein Leichtes, es auf das Bündel zu legen und zuzudrücken, zuzudrücken, bis schließlich …
    Meine Hand zitterte. Ich spürte, wie sich das Wesen unter mir bewegte und wie stark seine Kiefer waren, als es an meinem Finger saugte. Da wurde es auf einmal still. Ich schloss die Augen, und die Erinnerung schnitt mir scharf wie ein Messer zwischen die Rippen. Ohne recht zu überlegen, was ich tat, nahm ich das Bündel und zog Mary am Arm so weit hoch, dass sie halb aufrecht saß. Mary wehrte sich zwar, aber die Wehen hatten sie so erschöpft, dass sie kaum mehr Kraft besaß. Ich drückte ihre Knie zu Boden und legte ihr das Kind in die Arme.
    Mit einem erstickten Schrei drehte sich Mary von mir weg.
    »Nein!«, keuchte sie, und ihr Gesicht war grau und ausgemergelt von einer Angst, die nur Erwachsene kennen und die so gar nicht zu ihren kindlichen Zügen passte. Im Nachhinein erklärte ich es mir mit den Schmerzen in ihrem Bauch, die sie so gemartert hatten. Damals aber, in jenem

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