Der Apotheker: Roman (German Edition)
Missgeburt einzustellen. Der Mutter des Mädchens musste während der Schwangerschaft ein Hase über den Weg gelaufen sein, womöglich hatte sie sogar Hasenbraten gegessen. Jeder in meinem Dorf wusste, dass das Kind von Geburt an von dem betreffenden Tier gezeichnet sein würde, wenn man keine Maßnahmen ergriff, um den Schaden zu beheben. Meine Mutter hätte sofort das Kleid der Mutter zerrissen. Denn wenn man dies unverzüglich tat, wurde der verderbliche Einfluss des Hasen zunichte gemacht. Die Mutter dieses Mondkalbs war wohl selbst schwachsinnig gewesen.
»Sie werden sich bemühen, klar und deutlich zu sprechen«, meinte Mrs Black spitz, »und sich verständlich auszudrücken. Wir in London haben doch eine sehr viel kultiviertere Sprache als ihr in der Provinz.«
Entrüstet wollte ich widersprechen. Ich, schwerer zu verstehen als dieser Wirrkopf von einem Mädchen, das kaum ein Grunzen herausbrachte, ohne vor Anstrengung umzufallen? Mrs Black kniff das Gesicht zusammen und starrte mich an, wütend und ungerührt zugleich. Kaum merklich strich sie über die Rute an ihrem Gürtel.
Da ließ ich meinen Widerspruch bleiben.
»Und was das Bett betrifft«, fuhr sie fort, »so werden Sie mit Mary in der Dachkammer schlafen. Sie werden es dort bequem haben. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Haus. Dann können Sie sich bis zum Abendbrot ausruhen.«
Es gibt also doch eine Strafe, sagte ich lautlos zu mir selbst, als wir die dunkle Holztreppe hochstiegen. Ich musste das Bett mit einer schwachsinnigen Idiotin von Dienstmagd teilen, die kaum einen vernünftigen Laut von sich gab und zweifellos in die Matratze pinkeln und mein Haar vollsabbern würde. Ich dachte an meine Mutter, die zusammengerollt wie eine Walnuss neben mir im Bett gelegen hatte, und mir wurde das Herz schwer. Wieder drohten mich diese quälenden Tränen zu überwältigen, eine Torheit, deren ich mich schon den ganzen Tag lang hatte erwehren müssen. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Nase und biss mir auf die Zunge. Solcher Unsinn führte zu nichts. Meine Mutter hatte mich hintergangen: Ich würde ihr keine Träne nachweinen.
Stattdessen zwang ich mich, meine Aufmerksamkeit auf die Besonderheiten meines neuen Zuhauses zu richten, mit dem mich Mrs Black jetzt zügig bekannt machte. Es war bedeutend größer, als ich erwartet hatte. Das Erdgeschoss bestand vornehmlich aus dem Laden und dem Labor; Ersterer ging auf die Straße, Letzteres auf einen kleinen Hinterhof. Falls nötig, würde ich im Laden mithelfen, teilte mir Mrs Black mit, das Labor jedoch sei stets abgeschlossen. Ich dürfe es nur mit ihrer Erlaubnis betreten und keines der wissenschaftlichen Instrumente des Apothekers auch nur berühren. Jeder Verstoß gegen diese Anordnung würde mit einem Lohnabzug bestraft. Hinter dem Laden befand sich zudem ein kleines Esszimmer, wo der Apotheker und seine Frau ihre Mahlzeiten einnahmen.
Im ersten Stock lagen die Privaträume des Ehepaars. Beide Türen waren abgesperrt. Im zweiten Stock hielt Mrs Black inne. Wie im Stockwerk darunter gab es hier ebenfalls zwei Türen, die rechtwinklig aneinandergrenzten. Auch sie waren geschlossen. Die Tür auf der linken Seite, erklärte mir Mrs Black, führe ins Zimmer des Apothekerlehrlings, eines gewissen Mr Pettigrew, die andere in das Arbeitszimmer des Apothekers. Dabei stellte sie sich direkt davor, als wollte sie mir den Weg versperren.
»Sie werden niemals auch nur einen Finger auf diesen Türgriff legen, haben Sie verstanden? Der Apotheker duldet keine Störung«, sagte sie in strengem Ton, als spräche sie mit einem ungezogenen Kind. Eine Welle des Unmuts stieg heiß in mir hoch. »Mr Black ist mit einem äußerst wichtigen Vorhaben beschäftigt und wird nicht dulden, dass man seine Unterlagen durcheinanderbringt. Sogar Mary ist es verboten, dieses Zimmer zu betreten. Um die Reinigung kümmere ich mich selbst. Wenn er etwas zu essen verlangt, werden Sie anklopfen, um sich bemerkbar zu machen, und den Teller vor der Tür abstellen. Sie werden in Ihrem Zimmer nicht herumpoltern und auch sonst keinen Lärm machen, der ihn stören könnte. Wenn Sie die Treppe hinauf- oder hinuntergehen, werden Sie Ihre Schuhe ausziehen. Während Ihres Aufenthalts in diesem Haus ist es Ihre Pflicht und Ihre Verantwortung, für die Ruhe und Ungestörtheit Sorge zu tragen, die der Apotheker benötigt, um arbeiten zu können. Wenn er auch nur den geringsten Anlass zur Klage sieht, dürfen Sie von ihm keine
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