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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Nachsicht erwarten. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    Sie funkelte mich böse an. Ich zuckte die Achseln. Ihre Heuchelei erschien mir lächerlich. Lächerlich und überflüssig. Der Apotheker mochte bemüht sein, die unappetitlichen Details seines Gewerbes vor den neugierigen Blicken der Justiz geheim zu halten. Es erschien mir jedoch arg übertrieben, dass er die Ausübung derartiger Dienstleistungen auch vor denjenigen verbergen wollte, die sie in Anspruch zu nehmen suchten. Aus welchem anderen Grund war ich denn schließlich hier?
    »Antworte mir, Mädchen!«, herrschte sie mich an und spießte mich mit ihrem Blick förmlich auf.
    Von wegen Mrs Campling.
    »Ja, Madam«, murmelte ich beleidigt und starrte zu Boden. Wenn sie fand, die Zeit für Höflichkeiten sei vorbei, galt dies auch für mich. Während ich ihr auf den schrundigen Holzstufen ins Dachgeschoss hinauffolgte, stampfte ich so fest auf, wie ich konnte.
    Mrs Black bückte sich, um die niedrige Tür zu öffnen, und trat zurück, um mich hineinzulassen. Ich setzte einen Fuß über die Schwelle – und mir stockte der Atem. Meine Wut war verflogen. Im Zimmer stand ein großes Bett mit einer Rosshaarmatratze und einem Haufen Decken darauf, das mit schweren, staubfarbenen Stoffen verhängt war, und in einer Ecke unter der Dachschräge ein wackeliger dreibeiniger Hocker mit einem Kerzenleuchter und einem kleinen Lederbuch darauf. Das alles nahm ich jedoch erst später wahr. Selbst wenn in dem Zimmer nur ein Haufen schmieriger Lumpen gelegen hätte, vor schierem Erstaunen hätte ich laut aufgeschrien. Denn der Zauber des Zimmers bestand nicht in seinen vier schrägen Wänden, sondern in dem, was der Blick aus dem einzigen Fenster mit seinem abblätternden Rahmen bot.
    Im Nu hatte ich das Fenster aufgerissen. Die Häuser auf der Westseite der Gasse waren sehr viel niedriger als die auf der Ostseite, und das steile Dach des gegenüberliegenden Hauses war so nah, dass ich, wenn ich genauer hingesehen hätte, den braun-weiß gestreiften Vogelkot und die weichen mausgrauen Flechten zwischen den Ziegeln entdeckt hätte. Aber dafür hatte ich keinen Blick. Ich sah nicht die Ladenschilder unter mir, die in ihren rostigen Halterungen schaukelten und deren Ächzen und Quietschen sich mit dem heraufdringenden Straßenlärm vermischte. Undeutlich nahm ich wahr, wie Mrs Black draußen auf der Treppe jemandem etwas zurief, aber ich drehte mich nicht um, konnte mich von dem Anblick nicht losreißen.
    Denn dort, über meinem Kopf, erhob sich, das geduckte Durcheinander der Dächer und rauchenden Schornsteine hochmütig missachtend, jene herrliche Kuppel, die ich bereits von Hampstead aus gesehen hatte. Nur ragte sie jetzt unmittelbar vor mir auf, wölbte sich prachtvoll empor, getragen von einer gewaltigen Krone aus Pfeilern. Die von Säulen umspannte Laterne auf ihrer Spitze reichte weit in den rauchdurchzogenen Himmel, wie Jacks Zauberbohne in dem Märchen, das wir in der Dorfschule gehört hatten. Umrundet von einem goldenen Balkon, wurde die Laterne triumphal gekrönt von einer riesigen goldenen Kugel und einem goldenen Kreuz, die im Licht der Dämmerung bronzefarben leuchteten. In der Art, wie sich die Kuppel dem Himmel entgegenstreckte, lag nichts Unterwürfiges, nichts von jener Demut vor dem geliebten Gott der Bibel, im Gegenteil. Sie stieg aus dem Staub empor wie ein erhabenes Vermächtnis des grenzenlosen menschlichen Ehrgeizes, der sich hier in all seiner unerbittlichen Glorie verwirklicht hatte. Flankiert wurde die Kuppel von zwei großen Türmen, gleichsam Lakaien in vornehmer Uniform. Einer wies die größte Uhr auf, die ich jemals gesehen hatte.
    Ich wagte es kaum, zu blinzeln und die Kuppel aus dem Blick zu verlieren, auch nicht für einen Moment. Während ich staunend dastand, läuteten die Glocken die Viertelstunde – so laut, dass die Dachziegel klirrten. Nie in meinem Leben hätte ich mir träumen lassen, dass es so etwas geben könnte. Angesichts dieser gewaltigen Kuppel fühlte ich mich winzig klein, lästig und unbedeutend wie eine Laus. Gleichzeitig aber durchflutete mich herrliche Verzückung. Mein Herz schlug schneller. Und trotz meiner bangen Furcht, was in dem Haus des Apothekers mit mir geschehen würde, erfüllte mich beim Betrachten dieser Kuppel erneut eine vage, erwartungsvolle Freude. Im Schatten dieser majestätischen Größe fühlte ich mich irgendwie sicher, ja heiter. Was kümmerte mich die idiotische Magd, was kümmerten mich

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