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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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hinkte ich die Treppe hinunter, den Besen polternd hinter mir herziehend. Unter der Ladentür war ein Streifen Licht zu sehen. Ich hörte, wie sich meine Herrin mit einem Kunden unterhielt. Von der Küche, wo Mary das Abendbrot zubereitete, drang Töpfeklappern herauf. Ein ganz gewöhnlicher Abend. Hinter Edgar warf die Standuhr einen unheimlichen Schatten an die Wand, und die Glasscheibe über der Tür war schwarz und unergründlich wie ein Brunnenschacht. Mir graute vor diesem Anblick.
    »Ich habe nicht geschlafen«, flüsterte ich, und in meinem Mund war ein saurer Geschmack. »Ich … mir war …«
    »Was?« Edgar trat auf mich zu und kniff mich in die Wange. Ich drehte den Kopf zur Seite und blickte zu Boden. »Unwohl vielleicht? Und weshalb, wenn man fragen darf?«
    Bevor ich antworten konnte, ging die Tür zum Laden auf, und Mrs Black streckte den Kopf heraus, das scharfkantige Gesicht zu einer ärgerlichen Miene verzogen. Sofort verschwand Edgars Hand in seiner Hosentasche.
    »Wo bleiben denn die Pillen, Edgar? Mr Butterfield wartet schon.«
    »Ja, Madam.«
    »Und du, Mädchen, was trödelst du hier herum? Mach, dass du in die Küche kommst, und zwar schnell. Das Abendessen muss vorbereitet werden und noch eine Menge mehr. Und nimm gleich den Hut meines Mannes mit. Sonst bekommt man den Fleck gar nicht mehr weg.«
    Dunkel und feindselig lag der Hut auf dem Tisch. Ein breiter, hell schimmernder Streifen zog sich quer über die Krone. Man hörte, wie im Labor eine Schublade zugeschlagen wurde und Edgar lautstark fluchte. Mrs Black blickte mich unverwandt an, die Arme verschränkt, und trommelte mit den Fingern. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und griff nach dem Hut. Als ich ihn vom Tisch hochhob, fiel etwas Weiches, Dunkles herab, ein Gestalt gewordener Schatten, der an der Filzkrempe hängen blieb. Mir stockte der Atem, und fast wäre mir der Hut entglitten. Unwirsch riss ihn mir die Herrin aus der Hand und beäugte ihn.
    »Vermaledeite Vögel. Nimm Seife. Und wasche den Schleier gesondert. Er starrt vor Schmutz. Ah, Edgar, endlich. Mr Butterfield, es tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen.«
    Sie legte beide Hände sanft auf Edgars Hinterteil, schob ihn vor sich her in den Laden und schloss hinter sich die Tür. Wie schamlos diese Geste war, bemerkte ich kaum. Die Steinstufen zur Küche stolperte ich hinunter, als wären meine Beine aus Holz. Mary blinzelte mich an, als ich die Tür aufstieß. Sie hielt einen Holzlöffel in der Hand, und ihr Gesicht war vor Anstrengung rosig.
    »Helfen Mary?«, fragte sie zaghaft und wedelte dabei mit dem Löffel, sodass Soßenspritzer zischend auf dem heißen Herd landeten.
    Ich gab ihr keine Antwort, sondern warf den Hut auf den Küchentisch. Erst da sah ich ihn zum ersten Mal richtig an. Der Hut hatte tatsächlich einen Schleier. Der dunkle, hauchdünne Stoff war nicht ganz einen Meter lang und mit kleinen schwarzen Häkchen an der Krone befestigt, sodass er über die Krempe bis auf die Schultern fiel und das Gesicht schützte wie bei einem Imker. Am Saum war der Schleier grau vom Staub, und über die Krone zog sich eine dicke, schwarz verkrustete Spur Vogelkot, die auf der Krempe Klumpen bildete. Plötzlich wurde ich von einem heftigen Schüttelanfall gepackt und krümmte mich zusammen.
    Mary legte mir ihre weiche, warme Hand auf die Schulter.
    »Krank?«, flüsterte sie.
    Unwirsch schüttelte ich den Kopf und machte mich von ihr los, aber die Krämpfe wollten nicht aufhören.
    »Lachen?«, sagte Mary und rückte mir wieder auf den Leib. »Ist Spaß?«
    »In drei Teufels Namen …!«
    Ich schnellte herum und schlug ihr den verdreckten Hut ins Gesicht. Mary taumelte mit flatternden Händen und aufgeregt schnappendem Mund rückwärts. Ich funkelte sie an, sie blinzelte zurück. Da holte ich tief und geräuschvoll Luft, warf ihr den Hut vor die Füße, strich mir die Röcke glatt und ging langsam um sie herum zum Spülstein.
    Nach dem Abendessen teilte mir Mrs Black mit, der Herr wünsche mich am nächsten Morgen zu sehen, gleich nach dem Frühstück. Als ich mich vor Aufregung verschluckte und mir die Hände vor den Mund halten musste, sah sie mich gereizt an und zischte, sie würde keine Unverschämtheiten dulden. Falls der Herr ihr mitteilte, dass ich nicht in jeder Hinsicht Gehorsam zeigte, würde sie nicht zögern, mich die Birkenrute spüren zu lassen.
    In jener Nacht lag ich wach. Mein Kopf schmerzte vor Erschöpfung, doch ich fand keinen Schlaf.

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