Der Apotheker: Roman (German Edition)
ich mir, nur um mich zu vergewissern, und damit wäre für mich die Sache erledigt. Es gab schließlich viel wichtigere Dinge zu überlegen: Würde er mir einen Trank verabreichen oder vielleicht ein Pflaster auflegen, wie schlimm würden wohl die Schmerzen, und wie schnell würden sie eintreten? Du könntest sterben, sagte ich mir nachdrücklich, als ich die Hand hob, um anzuklopfen. Was kümmert dich das Gesicht deines Herrn, wenn du sterben könntest?
Ich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, dann schwang die Tür auf. Gegen das Sonnenlicht, das den Raum erfüllte, stand mein Herr als schwarzer Schatten vor mir. Geblendet kniff ich die Augen zusammen und ließ mich zu einem Stuhl dirigieren, der neben dem Tisch stand. Papiere, Hefte und leinengebundene, mit Lesezeichen gespickte Bücher türmten sich darauf. Das Zimmer blickte zur Gasse hinaus, allerdings war nicht mehr zu sehen als das gegenüberliegende Haus und, über dessen Giebeldach, das wolkenlose Blau des Himmels. Von hier hatte man keine Aussicht auf die Kuppel. Die noch niedrig stehende Sonne drang schräg zwischen den Schornsteinen hindurch und zeichnete Muster auf die rußigen Fensterscheiben. Wenn ich die Augen zusammenkniff, erschienen hinter den Lidern goldene Kringel.
Der Apotheker begrüßte mich nicht und bot mir auch nicht an, Platz zu nehmen. Er sagte überhaupt kein Wort, sondern legte wie zum Gebet die Hände zusammen, die Fingerspitzen an den Lippen, und wanderte sehr langsam um mich herum, wobei er mich genauestens musterte, als wäre ich ein Pferd, das er zu kaufen gedachte. Den Anweisungen meiner Herrin gemäß blickte ich unverwandt in den Himmel.
Er blieb vor mir stehen, bückte sich ein wenig und betrachtete die Rundung meines Bauchs unter den Rockfalten. Rasch und mit bangem Gefühl warf ich einen Blick auf sein Gesicht, die zitternden Hände fest ineinander verschränkt. Dass ich das, was ich zu sehen bekam, fast schon erwartet hatte, minderte meinen Schreck keineswegs – seine Verunstaltung war so … so ganz und gar gewöhnlich. Gewiss, er hatte ein ziemlich großes Mal, von der Schläfe bis unter das Halstuch, doch auch wenn es keinen schönen Anblick bot, konnte man es kaum als Entstellung bezeichnen. Hätte er nicht versucht, es mit Perückenpuder zu kaschieren, der auf der rauen, versehrten Haut weißliche Klümpchen bildete, hätte es noch weniger unangenehm ausgesehen. Aber so verlieh der Puder dem purpurroten Mal eine ungesunde gräuliche Tönung, die an fauliges Fleisch erinnerte.
»Hände auseinander!«
Schnell wandte ich den Blick ab und ließ die Arme baumeln, worauf der Apotheker mit schmalen Lippen auf meinen Unterleib starrte, als müsste er sich ein Grinsen verkneifen. Ich zog den Bauch ein, drückte den Wurm in mir zusammen, um ihm eine Regung zu entlocken. Doch er rührte sich nicht. Bald würde er verschwunden sein. Als der Apotheker mein linkes Handgelenk ergriff und mir seinen Zeige- und Mittelfinger auf die Innenseite drückte, spürte ich, wie mir vor Aufregung und Angst der Mund trocken wurde.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen.
»Wird es denn bald vorüber sein?« Ich versuchte, möglichst unbeschwert zu klingen.
Mein Herr runzelte die Stirn, gab aber keine Antwort, sondern bedeutete mir zu schweigen, solange er seine Untersuchung durchführe. In den folgenden Minuten starrte ich unablässig aus dem Fenster, während er meinen Körper abtastete und mir in Ohren und Mund schaute. Selbst als sein Gesicht nur eine Spanne von dem meinen entfernt war, wagte ich es nicht, ihn anzusehen.
Auch er sprach kein Wort, sondern machte sich auf einem Zettel Notizen. Er zog mir die Lider an den Wimpern nach oben, wohl um die verborgenen Bereiche im Weiß des Auges zu prüfen. Ich musste ihm schildern, wie meine Periode verlief und mit wie viel Jahren ich sie zum ersten Mal bekommen hatte. Dann stach er mir mit einer Nadel in den Finger, sodass ein Blutstropfen hervortrat, den er sich gründlich ansah und schließlich aufleckte, um den Geschmack zu prüfen. Der Stich tat nicht weh, trotzdem stöhnte ich auf, als er zustach.
Als die Untersuchungen schließlich beendet waren, musste ich mich mit dem Rücken zu ihm auf einen Stuhl setzen, sodass ich nur die Wand vor mir hatte. Sodann bestürmte er mich eine geschlagene Stunde mit Fragen und verlangte unsinnige Dinge zu wissen, in meinen Augen die reinste Zeitverschwendung. Zum Beispiel musste ich meinen Namen auf ein Blatt Papier schreiben und ihm aus
Weitere Kostenlose Bücher