Der Apotheker: Roman (German Edition)
so fängt es an. Die Salze im Blut hinterlassen ihren Abdruck auf dem wachsweichen Fötus, noch bevor Muskeln & Knochen sich erhärten können. Der Fötus muss dies über sich ergehen lassen, da sich die Vehemenz der mütterlichen Leidenschaften in seinem winzigen Körper in schändlichster Weise ausprägt.
Ich starre in den Spiegel, & das Opium schärft mir den Blick, sodass ich jede Einzelheit meiner verunstalteten Wange mit vollkommener Klarheit erkenne, jedes winzige Schüppchen, jedes Härchen & jedes Loch in der Haut, als betrachtete ich es unter dem Mikroskop. Dabei scheint jede Einzelheit größer & größer zu werden, jedes scharlachrote Hautschüppchen verrät sich selbst, wird zum Inbegriff der Sünden eines anderen, der Schwäche & Unvorsichtigkeit der Frau, die sich unbarmherzig in den unschuldigen kindlichen Körper eingebrannt haben. Die Wahrheit kein Balsam, sondern aufwieglerisch, die Botschaft einfach & unwiderruflich: absolute Unmöglichkeit der Vergebung.
IX
I ch weiß nicht genau, wie lange ich auf dem Treppenabsatz kauerte. Gewiss bis es dunkel wurde, denn das Licht hinter der Glasscheibe über der Tür schwand immer mehr, bis es schließlich ganz erlosch. Aus der Gasse drang Lärm ins Haus, als wäre er durch Musselin gefiltert, helle Klangtropfen ohne Sinn und Bedeutung. Nichts fühlte sich wirklich an, nicht einmal der kalte Putz der Wand in meinem Rücken oder die groben Borsten des Besens, die gegen mein Schienbein drückten. Meine Hände warfen bleiche Schatten auf dem schrundigen Geländer, wie Gespenster, die, von meinen Armen losgelöst, in der Dämmerung irrlichterten. Um mich herum zog sich das Haus zusammen, streifte sich seine nächtliche Fratze über, starrte mich an aus finsteren Augenhöhlen und ließ aus klaffenden Mündern den schwefligen Pesthauch des Teufels entsteigen. Ich wagte mich nicht zu rühren, obwohl ich jetzt nur zu gern die Hasenpfote unter meiner Matratze hervorgeholt hätte. Teilnahmslos und wie aus weiter Ferne nahm ich wahr, dass die Krämpfe in meinen Beinen immer schlimmer wurden. Der Wurm in meinem Bauch krümmte und streckte sich. Für einen kurzen, lichten Moment, hell wie der Funke in einer Zunderbüchse, verspürte ich so etwas wie verzweifelte Kameradschaft mit ihm.
Es ist so weit. Morgen fangen wir an.
Dann erlosch der Funke wieder. Ich presste die Fingerknöchel fest auf meinen Bauch. Ein leiser Widerstand rührte sich. Ich drückte noch fester, doch plötzlich öffnete sich unter mir die Ladentür, und Stimmen und ein Schwall gelben Lichts drangen herein, deren Normalität mich verstörte und entsetzte. Schatten tanzten auf der Treppenwand, als jemand mit einer Kerze in den Flur trat. Licht kroch die Stufen herauf, berührte meine Knie, die Zipfel meiner Haube. Am liebsten wäre ich in dieses Licht hineingeschlüpft und gleichzeitig vor ihm weggelaufen.
»Sie irren sich, Madam. Er ist bereits zu Hause. Sein Hut liegt … nun, das ist ja ein hübscher Anblick, das muss ich schon sagen.«
Am Fuß der Treppe stand Edgar, die Kerze hoch erhoben. Er kniff die Augen zusammen und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, um besser sehen zu können. Verlegen presste ich die Beine zusammen und versuchte mich aufzurichten, aber die verkrampften Muskeln verweigerten mir den Dienst. Ich wankte und stieß mir den Besenstiel schmerzhaft in die Brust. Edgar verkniff sich ein Grinsen. Als Mrs Black ihm vom Laden aus etwas zurief, schüttelte er, an mich gerichtet, den Kopf und und fuhr sich mit der Zunge bedächtig über die Lippen.
»Ich glaube, Madam, Sie werden diesem Faulpelz von einer Dienstmagd sagen müssen, dass sie den Hut sauber macht!«, rief er ihr zu, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Mir scheint, Vögel haben die Krempe in eine Jauchegrube verwandelt. Soll ich sie rufen?«
Mrs Black musste ihm geantwortet haben, denn Edgar deutete zuerst auf mich und dann auf den Hut, der auf dem Kirschholztisch lag.
»Eliza!« Er hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund und tat so, als würde er mich rufen. »Eliza, wo steckst du denn bloß?« Und dann zischte er mir leise zu: »In dem gottverlassenen Nest, aus dem du kommst, mag es ja üblich sein, dass sich die Dienstboten in eine Ecke verkriechen und schlafen, aber ich muss dich warnen: Zivilisierte Menschen sehen so etwas gar nicht gern. Ich rate dir, dich schleunigst herunterzubequemen, bevor ich deiner Herrin berichten muss, was für ein unerträglich faules Luder du bist.«
Widerwillig
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