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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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und am Hals. Mein Herr notierte sich das alles, fertigte genaue Zeichnungen des entzündlichen Ausschlags an, sagte aber nichts dazu. Meine Versuche, ihn danach zu fragen, wurden mit Schweigen quittiert oder noch häufiger mit einem Schlag seines Lineals auf meine Hand. Bald stellte ich keine Fragen mehr. Stattdessen verlegte ich mich darauf, in Gegenwart meiner Herrin laut zu klagen, da ich inständig hoffte, sie durch die Schilderung der bohrenden Schmerzen in meinen Lenden, der Bauchkrämpfe und der Brechanfälle dazu zu bewegen, mich ernst zu nehmen und mir zu helfen. Vergeblich. Mrs Black lächelte nur schal und empfahl mir als probates Heilmittel, mich in Fleiß und Geduld zu üben. Schließlich sei es die Pflicht einer Frau, solche Unpässlichkeiten gleichmütig zu ertragen. Ich grub mir die Fingernägel in die Handflächen und spürte, wie sich mir unwillkürlich Arme und Gesicht verkrampften. Als sie mich in den Salon scheuchte, damit ich den Kamin säuberte, tat mir das Geschrei des Straßenhändlers, der Kohl und Wirsing feilbot, so unerträglich weh, dass ich am liebsten auf die Gasse gerannt wäre und ihm den größten seiner Kohlköpfe in sein dreckiges Maul gestopft hätte.
    Am Sonntag darauf, als sie aus den Psalmen vorlas, die Hände wie Klauen um das schwere Buch in ihrem Schoß gelegt, kam ich zu einer verblüffenden und furchtbaren Einsicht: Mrs Black wollte, dass ich leide. Auch wenn sie nicht verhindern konnte, was geschehen würde, so konnte sie es doch hinauszögern und dafür sorgen, dass ich für mein Vergehen angemessen bestraft wurde. Meine schnelle Abreise nach London hatte mich vor der Schande und dem Ausgepeitschtwerden bewahrt, das mir gewiss widerfahren wäre, sobald die Nachbarn im Dorf meinen Zustand entdeckt hätten. Aber Mrs Black hegte nicht die Absicht, mir Leid zu ersparen. Im Gegenteil, sie wollte, dass ich leide und für meine Sünden büße.
    Je mehr ich darüber nachdachte, umso sicherer war ich mir. Ich versuchte, mich taub zu stellen, aber es war unmöglich, die häufigen Anspielungen auf Lasterhaftigkeit in den sorgfältig ausgewählten Bibelpassagen zu überhören. Meine Herrin war eine gottesfürchtige Frau, gleichsam vertrocknet von der Glut der Frömmigkeit. Dass sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, konnte man sich ebenso wenig vorstellen wie einen verdorrten Baum, der saftige Früchte trug. Und doch wusste ich von Edgar, dass sie fünf Kinder geboren hatte, von denen allerdings keines über das Säuglingsalter hinausgekommen war und deren Namen im Haus niemals ausgesprochen werden durften. Bevor Mary in die Swan Street gekommen war, hatte sie Henrietta geheißen. An ihrem ersten Tag jedoch hatte ihr Mrs Black erklärt, ein solcher Name sei für ein Dienstmädchen unangebracht, deshalb würde sie von nun an Mary gerufen. Henrietta war der Name von Mrs Blacks zweitem Kind gewesen, ihrer einzigen Tochter. Edgar konnte sich nicht mehr an die Todesursache erinnern, aber er war sich ziemlich sicher, dass zumindest eines der Kinder an der Grippe gestorben war.
    Mrs Black räusperte sich, funkelte mich an und tippte mit dem Finger auf die Buchseite.
    »Aufgemerkt!
Der Tod soll sie überfallen, lebend sollen sie hinabfahren ins Totenreich. Denn ihre Häuser und Herzen sind voller Bosheit.
«
    Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in London vermisste ich meine Mutter. Ich vermisste das Häuschen mit seinem eiskalten Steinfußboden und die niederen Zweige, die gegen die Fenster klopften. Meine Sehnsucht nach der vertrauten Modrigkeit unseres Bettes war so groß, dass mir schwindelig wurde. In jener Nacht hatte ich fürchterliche Kopfschmerzen. Am liebsten wäre ich ins Labor geschlichen, um vom Weidenöl des Herrn zu stibitzen, aber ich traute mich nicht. Stattdessen fuhr ich Mary an, als wir uns in der Frühe mit der Wäsche plagten, und versetzte der Katze einen Tritt, dass sie aufjaulte und sich, die gelben Augen vorwurfsvoll funkelnd, unter die Anrichte verkroch. Selbst als die Arbeit endlich erledigt war, fand ich keine Ruhe, sondern zupfte an den Holzsplittern an der Unterseite des Küchentischs herum und fand einen grausamen Trost darin, wenn sie mir schmerzhaft wie Nadeln in die grobe, runzlige Haut unter meinen Fingernägeln stachen.
    Der Vormittag war nicht für meinen Herrn reserviert, und so verbrachte ich mühevolle Stunden mit den Hausarbeiten. Kurz vor dem Mittagsmahl rief mich Mrs Black ins Speisezimmer. Dort war es kalt, das Feuer brannte noch nicht, und

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