Der Apotheker: Roman (German Edition)
ging in flachen, keuchenden Stößen, und sein ganzer Körper wurde von einer fiebrigen Energie erfasst, die seine Finger tanzen und seine Gesichtsmuskeln zucken ließ.
Eines Morgens, als ich den Flurfußboden schrubbte, stand er plötzlich hinter mir. Er trug den Hut mit dem Schleier, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, aber aus seinem schwerfälligen Gang schloss ich, dass er wieder einmal einen schlimmen Tag hatte. Ich trat zurück, drückte mich gegen die Wand, aus Angst, sein Missfallen zu erregen, und hielt meine Augen auf die schaumige Wasserpfütze vor mir gesenkt. Ich betete, dass er nur ja nicht hineintreten und seine Schuhe beschmutzen möge. Er blieb vor mir stehen und bückte sich, sodass mir der Geruch nach gebranntem Karamell, den er verströmte, in die Nase stieg. Seine Finger waren schwarz von Tinte.
»Bald«, murmelte er so leise, dass ich ihn fast nicht verstand. »Bald ist es so weit.« Dann stürmte er zur Tür und riss sie auf. »Was für ein Himmel!«, rief er begeistert aus. »Alle Perlen Ostindiens zusammen leuchten nicht in einem solchen Glanz.«
Ich hörte kaum hin.
Bald.
Das Wort blieb an mir kleben wie Spinnweben.
Bald.
In dieser Nacht wand sich der Wurm und schlug um sich. Immer wieder wurde ich wach, weil ich den überwältigenden Drang verspürte, Wasser zu lassen. Während ich auf dem Nachttopf kauerte, wölbte sich über mir die Kuppel der Kathedrale wie ein kalter Mond aus Blei.
Bald.
Erbärmlich wenig Urin tröpfelte in den Nachttopf. Plötzlich versetzte mir der Wurm ohne Vorwarnung mit seinem Kopf einen Stoß in den Brustkorb. Ich schnappte nach Luft, und dann entrang sich meinen Lungen ein Atemzug, als hätte sich ein Pfropfen aus meiner Kehle gelöst. Ich schluckte und blinzelte, starrte zu der Kuppel hinauf und zog mir das Nachthemd über die Knie.
Bald.
Was war aus mir geworden? Ich hatte das Gefühl, aus einem langen Fieberschlaf zu erwachen.
Bald.
Ich hatte so lange und mit so blinder Zuversicht gewartet, dass meine Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. Mein Bauch war rund, die Brüste waren schwer. Der Wurm war fett und wurde immer fetter, und bald, sehr bald, würde er herauskommen. Er wäre wirklich und kompakt, Fleisch gewordener Untergang. Und ich hatte keine Ahnung, was aus uns beiden werden würde, aus ihm wie aus mir. Seit unzähligen Wochen befand ich mich im Haus des Apothekers, und in all dieser Zeit hatte ich nichts unternommen. Ich hatte mich in den Haushalt eingefügt, hatte demütig und unterwürfig zugelassen, dass man nach Gutdünken mit mir verfuhr. Diese Leute, die ich kaum kannte, hielten mein Leben in der Hand, meinen guten Ruf, meine Zukunft. Ich hatte nichts unternommen.
Mein Verstand arbeitete fieberhaft. Ich war zwar nie in die Feinheiten derartiger Angelegenheiten eingeweiht worden, jedenfalls nicht offiziell, aber ich war die Tochter meiner Mutter. Es war erst Mai, zu früh für Ysop oder gelben Günsel oder die meisten anderen Pflanzen, die als gefährlich für schwangere Frauen galten; aber für Schwertlilien war es nicht zu früh. Schwertlilien wuchsen zu jeder Jahreszeit an Flüssen und Teichen. Meine Mutter hatte die Wurzeln zerstampft und daraus Gebärmuttereinlagen hergestellt. Es stimmte, meine Mutter hatte dieses Mittel nur Frauen in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verabreicht, und ich erinnerte mich nur sehr vage an die genauen Zutaten und Mengenverhältnisse. Aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Auch nicht auf die Erinnerung an das wie eine Walnuss zerfurchte Gesicht meiner Mutter, wenn sie besorgt in ihren Mörser blickte. Ich durfte mich nicht beirren lassen.
Bald.
Es konnte nicht zu spät sein. Es durfte nicht zu spät sein.
Es war leicht zu bewerkstelligen, in dem Moment im Flur zu stehen, als Mr Black nach dem Frühstück herunterkam. Ich reichte ihm seinen Schleierhut und den Stock mit dem Silberknauf. Er nickte und legte sich den Schleier um die Schultern.
»Verzeihen Sie meine Kühnheit, Sir«, wagte ich zu sagen. »Ich möchte nur … es ist noch früh im Jahr, ich weiß. Zu früh für viele Dinge. Aber schon jetzt gibt es so manche Wurzeln und Rinden, die Ihnen von Nutzen sein könnten, wenn ich sie sammeln dürfte. Mrs Black sagt immer, das alte Kräuterweib verlangt Wucherpreise. Und da dachte ich, vielleicht könnte ich an ihrer Stelle Kräuter sammeln, wenn Sie es wünschen. Ich habe für meine Mutter oft welche gesammelt und weiß, wonach ich suchen muss.«
Der
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