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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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eins: Ich musste mich geschlagen geben. Die Zuversicht, die mich unterwegs nach Islington beflügelt hatte, war dahin, geblieben war ein grimmiger Gleichmut. Der Wurm war stärker als ich, die dunklen Kräfte, die ihn nährten, erwiesen sich als unerbittlich. Nachts presste ich meine Finger in den Bauch, um ihn zu zwingen, sich zu bewegen und dem Druck meiner Hände etwas entgegenzusetzen. Seine Reaktion war alles andere als sanft. Ich ballte die Hände zu Fäusten zusammen, erfüllt von Wut und Schrecken angesichts der Zähigkeit der Kreatur. Aber in den Nächten, da sie sich nicht bemerkbar machte, fühlte ich mich verloren.
     
    Der Juni brachte heftigen Regen, der an die Fenster prasselte. Die Nächte waren kurz, doch es gab keine Anzeichen des nahenden Sommers. Stattdessen sickerte graues, mit Staub und Ruß durchsetztes Licht in die Zimmer. Tagsüber war der Herr oft außer Haus und kam spät zurück, um den größten Teil der Nacht zu arbeiten. Er brachte kalte Luft mit und den Tabakgeruch der Kaffeehäuser, sodass mir meine Bleibe nicht mehr ganz so abgeschlossen vorkam. Die Folge seines Lebenswandels war, dass er mich jetzt seltener und immer spätabends zu sich rief. Wenn er mit der Untersuchung fertig war, bei der seine Hände wie zuckende Falter über meinen Bauch flatterten, musste ich mich, wie auch bisher schon, mit dem Gesicht zur Wand setzen. Doch jetzt stellte er nur noch selten Fragen, führte eine Art Selbstgespräch.
    Nachts, wenn ich meinen Unterrock auszog, spannte sich die Haut über meinen eiförmigen Bauch, straff und beharrlich, und der Nabel wölbte sich nach außen. Seine Größe war erstaunlich. Nichts an mir war mehr von gewöhnlichen menschlichen Ausmaßen. Mein Nabel trat hervor wie eine Geschwulst, wie eine Krankheit, die mein Körper entschlossen war auszutreiben. Aber er tat es nicht. Eines Nachmittags hieß mich Mrs Black mit ihr zu kommen und die Säuglingswäsche aus der Zedernholztruhe in ihrer Kammer zu holen, damit sie gewaschen würde. Als wir vor der Truhe standen, wandte ich den Blick ab, doch Mrs Black wies mich scharf zurecht und forderte mich auf hinzusehen. Während sie ein Kleidchen herauszog, dessen zierlicher Spitzenbesatz mit den Jahren ganz vergilbt war, legte sie die Stirn in Falten und blickte wie versteinert. Langsam hob sie es hoch und roch daran. Es war kaum größer als ein Taschentuch. Ich konnte den Anblick nicht ertragen und zerrte unsanft die restlichen Wäschestücke aus der Truhe, ohne Rücksicht auf den empfindlichen Stoff. Unter einem Stapel modriger Windeln fand ich ein großes weißes Tuch. Als ich es entfaltete, sah ich, dass es ein Leichentuch war. Ich legte es wieder zusammen und stopfte es in die Truhe zurück, aber der Stoff verfing sich in meinem Rock und wickelte sich mir um die Beine. Ein unmissverständliches Omen. Mit einem lauten Aufschrei fiel ich auf die Knie, umschlungen von dem Tuch.
    Mrs Black funkelte mich böse an und entblößte die Zähne.
    »Hör um Himmels willen auf zu greinen«, sagte sie voller Abscheu. »Reue nützt dir jetzt auch nichts mehr.«
     
    Anfangs waren die Geschichten nur dazu da, die nächtliche Stille auszufüllen. Als die Glocken die Viertelstunden um die Wette schlugen und die Stunden bis zu meiner Niederkunft abzählten, verwoben sich die Worte zu Schnüren, die mich an meine Vergangenheit banden und an mich selbst. Je näher die Zeit meiner Niederkunft rückte, desto enger schlossen sich die Wände des Hauses in der Swan Street um mich, bis ich zu ersticken drohte.
    Die Gegenwart war unerträglich, die Zukunft unvorstellbar. Allein die Vergangenheit war ein Ort der Sicherheit und des Wohlbefindens, und die Entbehrungen, die ich damals zu erleiden gehabt hatte, waren durch den zeitlichen Abstand und ein Gefühl der Wehmut gedämpft. Es spielte keine Rolle, dass die Idiotin meine einzige Zuhörerin war. Es ging mir darum, mich selbst zu unterhalten und zu trösten. Ich richtete den Blick auf das Loch in der Decke unserer Dachstube, wo das Lattenwerk zutage trat, und fing an zu erzählen. Ich erzählte von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war, von dem Cottage, der Schule und den Menschen. Alte, längst vergessen geglaubte Gefühle grub ich wieder aus. Ich erzählte von Dilly, der Metzgerstochter, die mir Halsketten aus Gras und Gänseblümchen flocht, und von dem groben Hufschmied, dem ein Finger fehlte und der mich zuschauen ließ, wenn er rot glühendes Metall bog. Ich erzählte von dem Soldaten mit

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