Der Apotheker: Roman (German Edition)
seiner Wichtigkeit umhüllt wie ein Würstchen von seiner Haut. Im nächsten Augenblick wirbelte ein zerlumpter Hühnerverkäufer herum und hätte mich fast umgeworfen mit seinen Körben voll zerzausten Federviehs, die er an einem Stock über der Schulter trug. Ich versuchte, Halt zu gewinnen, indem ich meinen Korb wie ein Schutzschild vor mich hielt, und tauchte ein in das Gewühl. Ein Kleiderhändler, ein buckliger, perückenloser Alter mit drei Hüten übereinander auf dem Kopf, schob sich an mir vorbei. Sein Manchesterrock war an den Ellbogen durchgescheuert und modisch kurz gehalten, wenn auch nur deshalb, weil der Saum zerschlissen war. Er stolperte und wäre beinahe gefallen. Ich musste geschickt ausweichen, um nicht mit zu Boden gerissen zu werden.
Ich raffte meine Röcke, senkte den Kopf und bahnte mir einen Weg durch das Gewimmel, die Augen fest auf meine Holzschuhe geheftet. Ich war vielleicht einen Kilometer weit gekommen, ohne innezuhalten, als die Straße steil anstieg und ich eine Pause einlegen musste, um Luft zu schöpfen. Erst jetzt erlaubte ich mir einen Blick zurück. Die Kuppel schwebte voll Anmut und Würde über dem kunterbunten Durcheinander aus Dächern und Schornsteinen, unberührt von den kleinlichen Sorgen, die das Leben der Menschen bestimmten. Ich hielt meinen Korb fest an den Körper gepresst, während ich so dastand und schaute. Dann schloss ich die Augen und sprach mit lauter Stimme die Worte:
»Vergib mir, Herr, was ich zu tun beabsichtige. Vergib mir.«
Ich hatte Glück. Das Frühjahr war zwar ungewöhnlich feucht gewesen, aber in dem niedrigen Gehölz jenseits des aschegrauen Stadtrands fand ich schnell zahlreiche bekannte und nützliche Kräuter: Schlangenwurz, Pestwurz, Schwarzerlenrinde zur Reinigung von Milz und Leber, späte Schlüsselblumen, ja sogar Löwenzahn, den das unwissende Volk Bettpisser nennt. Und Schwertlilienwurzeln.
Vor der Kirche wartete ich auf Edgar. Bedacht darauf, meine Füße nur auf ungeweihten Boden zu setzen, spürte ich dennoch durch die verschlossene Eichentür der Kirche die Augen der Gottesfürchtigen auf mir ruhen. Edgar traf mit Verspätung ein. Es war bereits dunkel, als wir schweigend nach Hause gingen. Der Mond versteckte sich hinter den Wolken, aber aus den Läden drang ein verschwenderischer Lichtglanz. Die Glaskugeln der Lampen verströmten einen flüssigen weißen Schein, und auf Leuchtern und Haltern brannte ein Meer von Kerzen. Das Licht tanzte in den Glasfenstern und ergoss sich auf die Straße, bis selbst der Kot in den Rinnsteinen silbrig glänzte. Gesichter tauchten vor uns auf – weiße, dunkel umschattete Masken, die Miene komisch oder grotesk verzerrt. Am Eingang unserer Gasse erloschen die Lampen, und es herrschte völlige Dunkelheit, als wagte sich kein Schimmer Licht allein hierher. Derart stockdunkel war es auf dem Land nie gewesen.
In der vom Holzfeuer erhellten Küche wickelte ich die Schwertlilienwurzeln in ein sauberes Tuch, das ich unter der Leinenwäsche in der Schublade der Anrichte versteckte. Ich hätte auch für den Apotheker solche Wurzeln mitgebracht, wenn ich nicht befürchtet hätte, Verdacht zu erregen. Die Pflanze verströmte einen so starken Geruch, dass sie im Volksmund Stinkschwertel hieß. Meine Mutter lehnte diese Bezeichnung ab. Sie weigerte sich, eine Pflanze zu ächten, die so viele Vorzüge besaß. Die Wurzeln und Blätter, zu Pulver zerstampft und mit Wein versetzt, linderten Bauchschmerzen. Ein Absud der Wurzeln reinigte den Körper von überflüssiger Galle und Schleim. Man konnte die Wurzeln auch mit Wein kochen und den so entstandenen Brei zu kurzen, dicken Würsten rollen, die man in Musselin einwickelte. Ich war mir fast sicher, dass es mehr nicht bedurfte. Steckte man sie, so weit es ging, hinein, waren Schmerzen die unmittelbare Folge.
Vielleicht war das Mischungsverhältnis falsch. Vielleicht gab es weitere Zutaten, die ich nicht kannte. Ich glaube, es war einfach nur zu spät, der Wurm schon zu kräftig. Gewiss, ich bekam Krämpfe. Und geringfügige Blutungen. Aber trotz des tosenden Sturms klammerte sich der Wurm an das Innere meines Bauchs wie ein Seemann an das Wrack seines Schiffes, bis sich der Orkan gelegt hatte.
Danach verhielt er sich ein paar Tage lang still, seine Bewegungen wurden schwächer. Ich besaß noch mehr Schwertlilienwurzeln und hätte einen zweiten Versuch wagen können, doch ich verzichtete darauf. Warum, konnte ich mir selbst nicht erklären. Ich wusste nur
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