Der Apotheker: Roman (German Edition)
doch die kühlere Luft vermochte unser Haus nicht zu durchdringen. Ich verfiel in eine düstere Stimmung, mein Magen war aufgewühlt, meine Eingeweide marterten mich. Mrs Black besah sich den Inhalt meines Nachttopfs und warnte mich, dass Drückebergerei harte Strafen nach sich zöge. Jedes Mal, wenn die Haus- oder Ladentür offen stand, stellte ich mir vor, wie ich meine Röcke schürzte und losrannte, immer weiter, bis ich nur noch ein Pünktchen auf den verschwommenen Hügeln von Surrey wäre, mit unermüdlichen Ameisenbeinen, ohne jemals einen Blick zurückzuwerfen. Doch wenn ich mich umdrehte, war ich immer noch da, mein Bild blass, aber unverkennbar in dem fleckigen Flurspiegel, die Ringe unter den Augen dunkel von Kohlenstaub und Müdigkeit.
Mary fehlte mir. Ihr feuchter, pfeifender Atem hatte mich zwar immer gestört, aber ich hatte mich wohl daran gewöhnt. Ohne ihre massige Gestalt neben mir war das Zimmer irgendwie unwirklich, und das Geschrei und Gejohle der Passanten klang noch schriller und bedrohlicher. Noch lange nachdem sie vorbeigegangen waren, erzitterte der Raum von ihrem Echo.
Mary hatte gebettelt, nicht in die Küche verbannt zu werden, aber Mr Black blieb unnachgiebig und behauptete, durch Marys unablässiges Schnarchen an den Rand des Wahnsinns getrieben zu werden. Am ersten Abend sah ich Mary dabei zu, wie sie den Tisch zur Seite schob und ihren Strohsack ausrollte. Sie weinte still in sich hinein und drehte mir den Rücken zu. Wie immer bedrückte mich der Anblick ihrer Hilflosigkeit, aber diesmal mischte sich noch etwas anderes, etwas Trostloseres darunter. Als sie einen Haufen Decken von der Anrichte nahm, wischte sie damit versehentlich einen Zinnteller herunter, der mit lautem Scheppern zu Boden fiel.
»Warum bist du nur immer so ungeschickt?«, fuhr ich sie an. »Wenn die alte Hexe das gehört hat, verdrischt sie uns beide.«
Mary sagte nichts, sondern putzte sich mit dem Ärmel die Nase und kniete nieder, um den Teller aufzuheben. Am liebsten hätte ich sie getreten.
»Reiß dich gefälligst zusammen«, fügte ich brüsk hinzu. »Ich selbst hab hier auch schon schlafen müssen, hast du das vergessen? Es ist gar nicht so schlimm.«
Doch bei der Erinnerung daran verkrampfte sich mir der Magen. Ich wandte den Blick von dem dunklen Fenster zur Anrichte und begutachtete geflissentlich das Teegeschirr auf dem oberen Regal. Eine der Tassen war am Rand angeschlagen, die kaputte Stelle gelblich braun wie eine eitrige Wunde.
Wimmernd kam Mary herangekrochen, um ihr tränenüberströmtes Gesicht in meinem Rock zu vergraben. Ich riss ihr den Stoff so grob aus den Händen, dass sie nach vorn fiel und mit der Stirn gegen die Kante der Anrichte schlug. Zuerst war die Wunde nur ein klaffender weißer Spalt wie ein vor Entsetzen aufgerissener Mund, dann schoss das Blut hinein und färbte sie scharlachrot.
»Um Himmels willen!«
Ich nahm schnell einen Lappen von der Leine über dem Kamin und reichte ihn ihr. Ihr Gesicht war aschfahl, doch das Blut, das ihr über die Stirn lief, erschreckend rot. Verlegen wandte sie den Kopf von mir ab und hielt sich einen Arm so vors Gesicht, als wollte sie die Verletzung verbergen.
»Mary, bitte!«, sagte ich und nahm ihren Kopf in meine Hände. »Willst du denn verbluten?«
Mary sah zu mir hoch, als ich ihr das Tuch auf die Stirn drückte.
»Mar’ will bleiben bei Lize«, sagte sie und sah mich mit ihren rosaroten Augen flehend an.
Ich erwiderte nichts. Die Wunde war breit, aber nicht tief, und die Blutung schien ein wenig nachzulassen. Ich presste ihre Hand auf das Tuch, aber sie ließ es fallen. Blut sickerte in ihre schmale Augenbraue, sodass weiße Härchen aus dem Scharlachrot herausragten.
»Mary!«
»Viel Angst«, flüsterte sie.
»Das brauchst du nicht. Die Wunde ist nicht so tief. Aber du musst die Blutung stillen. Komm schon, hilf mir wenigstens, ich schaff das nicht alleine«, fuhr ich sie an und packte sie grober an der Hand, als ich gewollt hatte.
»Lize … Lize, ich … bitte … so viel Angst …«
Ihre Stimme überschlug sich. Sie kniff die Augen zusammen und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Die Tränen, die ihr über die Wangen strömten, zeichneten hellrote Rinnsale in das Blut und klebten ihr das fettige Haar in Strähnen ans Gesicht. In mir brach plötzlich etwas auf. Unwillkürlich setzte ich mich neben sie auf den Boden und nahm sie in den Arm. Sie klammerte sich an mich wie ein Äffchen und hielt sich an meinem
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