Der Apotheker: Roman (German Edition)
Kleid fest.
»O Mary«, sagte ich leise. »Es tut mir leid. Ich war … du brauchst keine Angst zu haben.«
Die Küchentür wurde auf- und wieder zugeschlagen.
»Ach, wie reizend. Die Idiotin und die Hure.« Die Boshaftigkeit in Edgars Stimme war nicht zu überhören, obwohl er nuschelte wie ein Betrunkener. »Eine Pietà, die eines Michelangelo würdig wäre. Natürlich würde sie noch echter aussehen, wenn das Mondkalb wirklich tot wäre. Richtig tot, meine ich, nicht nur vom Hals an aufwärts.«
»Lass uns in Ruhe und verspritz dein Gift anderswo«, sagte ich wütend und schloss die Arme noch fester um Mary.
»Das würde ich ja gern, aber dank der reizenden Zuwendung eines temperamentvollen kleinen Wesens oben an der London Bridge hat sich das Spritzen bereits erledigt«, meinte Edgar kichernd, ließ sich in den Schaukelstuhl plumpsen und entledigte sich umständlich seiner Schuhe. Dann tappte er in Strümpfen und mit dem Zeigefinger auf dem Mund zur Speisekammer hinüber, nahm sich eine Flasche vom besten Wein unseres Herrn vom obersten Regalbrett und verließ auf Zehenspitzen die Küche.
Eine Weile war es ganz still. Im Kamin verrutschte ein verkohltes Holzscheit, worauf die Glut ein seufzendes Geräusch von sich gab. Mary lag still, den Kopf auf meinen Schoß gebettet, und atmete schwer, aber gleichmäßig. Ich befeuchtete einen Schürzenzipfel mit Speichel, wischte ihr das angetrocknete Blut vom Gesicht und strich ihr das Haar hinter die Ohren. Im Schlaf presste Mary ihre rosigen Lippen zusammen, sodass sich die Spalte in ihrer Oberlippe schloss und ihr Mund fast normal aussah. Nicht nur ihr Mund. Der Schlaf und das Kerzenlicht glätteten ihre ungleichmäßigen, verzerrten Züge und ließen ihr Gesicht hübscher erscheinen; dadurch nahm ich weniger dessen Mängel wahr, sondern eher die blasse Sanftheit ihres Teints und die weiche Rundung ihres Kinns. Über der schwarzen, klaffenden Wunde auf ihrer Stirn schimmerte ihr Haar rotgolden.
Ich wickelte die Decken noch fester um sie, küsste sie sanft auf die feuchte Wange und blies die Kerze aus.
Nun, da es regnete, war die Pumpe wieder in Betrieb. Mehrmals pro Woche wurden Mary und ich zum Wasserholen geschickt, und jedes Mal wollte sie zum Fluss hinunter, um nachzusehen, ob der Gaukler da war.
»Aff’«, quengelte sie immer und ließ ihre leeren Eimer sehnsüchtig klappern. »Klein’ Aff’.«
Ich gab ihr nach, weniger aus Gefälligkeit, sondern weil ich es überdrüssig war, es ihr abzuschlagen. Wenn sie die Hanswurstiaden des Äffchens verfolgte, beobachtete ich sie. Außer sich vor Vergnügen, wedelte sie mit den Händen, und aus ihrem offenen Mund schoss die Zunge hervor. Wenn sie lachte, rollte ihr Kopf auf dem Hals hin und her, dass einem ganz schwindelig wurde. Mr Jewkes hatte sich seit Wochen nicht mehr im Haus des Apothekers blicken lassen. Ich hoffte, dass dieser gemeine Wüstling krank oder eingeschnappt war oder beides. Wir sprachen nie über ihn. Ohnehin sagte Mary kaum je etwas. Vielleicht fürchtete sie meine Launenhaftigkeit, und tatsächlich war ich oft schnippisch und manchmal auch grausam. Trotz ihrer Idiotie besaß Mary ein feines Gespür.
Als der Quacksalber jetzt die Bühne betrat, flitzte das Äffchen darüber und sprang mitten ins Publikum. Mary drängte sich noch weiter in die Menge und trat dabei einem finster dreinblickenden Messerschleifer auf den Fuß.
»Pass doch auf, du blöder Trampel!«, sagte er mit donnernder Stimme und hob die Faust. Sein Ärmel war von seinem Schleifrad ganz abgewetzt.
»Wenn es hier einen Trampel gibt, dann steht er hier direkt vor mir«, fuhr ich ihn ebenso barsch an.
»Ach, tatsächlich?« Der Messerschleifer versetzte mir einen Stoß, dass ich rückwärtstaumelte.
»Alles in Ordnung, Miss?«
Ich blinzelte. Der Gaukler des Quacksalbers stand neben mir, die Kappe mit den Eselsohren auf dem Kopf, die ihm auf die Schultern hingen. Er war größer, als er auf der Bühne aussah. Ich reichte ihm gerade bis zu den Schultern.
»Du willst doch bestimmt keinen Ärger bekommen, oder?«, meinte er gelassen zu dem Messerschleifer, woraufhin dieser etwas Unverständliches brummte, mir vor die Füße spuckte und sich trollte.
»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte ich zu dem Gaukler. »Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.«
Er zuckte mit den Achseln und scharrte mit der Schuhspitze den Speichelfleck beiseite.
»Prügeleien sind nicht gut fürs Geschäft«, erwiderte er.
»Mistkerle wie
Weitere Kostenlose Bücher