Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
jene eben, die den Sozialismus aus der Erde heraus-und uns in die Erde hineinstampft.
Die Spielarten der allgemeinen Arbeiten sind nicht zu zählen, nicht zu überblicken, sprachlich nicht zu erfassen. Schubkarren schieben («Vom OSO ein Präsent, pack zu, das Rad, es rennt»). Tragen schleppen. Mit bloßen Händen Ziegel abladen (die Haut ist bald von den Fingerkuppen runter). Ziegel huckepack schleppen (auf Rücken tragen also). Kohle und Steine im Tagbau hauen, Lehm und Sand schaufeln. Sechs Kubikmeter goldhaltiges Gestein aus dem Berg brechen und zum Trogherd schaffen. Einfach Erde schaufeln, einfach in den Boden sich verbeißen (in Kieselboden, im Winter obendrein). Kohle unter Tag hauen. Sonstiges Erz, mal Blei, mal Kupfer. Oder, wenn’s gefällig: Kupfererz vermahlen (süßlicher Geschmack im Mund, Wasser aus der Nase). Eisenbahnschwellen, bitte, mit Kreosot tränken (und den eigenen Körper dazu). Tunnels für Straßen schlagen. Bahndämme aufschütten. Oder: Torf aus dem Moor stechen, selbst bis zum Gürtel im Sumpf. Erze schmelzen. Metall gießen. Oder nasse Wiesen mit Erdhügeln darin abmähen (und knöcheltief im Wasser waten). Als Kutscher, als Fuhrwerker agieren (und aus dem Pferdefuttersack Hafer für den eigenen Topf hamstern, Staatsgut ist der Gaul, wird nicht gleich draufgehen, und wenn, ist’s auch kein Schaden). Überhaupt, das allerbeste: in landwirtschaftlichen Objekten allerlei Bauernarbeit verrichten (da gehst du nicht fehl: Aus der Erde läßt sich allemal was zusammenrupfen).
Doch aller Seki Vater ist unser russischer Wald, echt güldene Bäume stehen darin (dienen der Holzgewinnung). Und aller Arbeit Urahn ist der Holzschlag. Alle Mann ruft er zu sich, findet für jeden Platz, verschmäht auch die Invaliden nicht (schickt Ein-und Keinarmige zu dreien aus, den halbmeterhohen Schnee festzustampfen). Sieh, Holzfäller, den Schnee, er reicht dir bis zur Brust. Fürs erste heißt’s, ihn rund um den Stamm glattzutreten. Den Baum fällen. Danach, mühsam durch den Schnee dich wälzend, alle Äste abhacken (da mußt du auch erst den Schnee wegscharren, ehe die Axt richtig trifft). Im pappigen Schnee alle Äste auf einen Haufen schleifen und dann verbrennen (aber sie brennen nicht, sondern rauchen). Nun ran, und den Stamm zersägt und die Blöcke gestapelt. Und es sei deine Norm je Mann und Tag fünf Festmeter, oder zehn für zwei. (In Burepolom sind es sieben, aber da hat einer die dicken Stämme auch noch kleinzuhacken.) Bald wollen deine Arme die Axt nicht mehr heben, deine Füße sich nicht mehr vom Fleck rühren.
In den Jahren des Krieges (bei kriegsmäßiger Atzung) wurden drei Wochen im Holz von den Lagerleuten die trockene Erschießung genannt.
Hassen lernen wirst du diesen Wald, diese in Versen und Prosa besungene Erdenpracht! Wirst, von Abscheu geschüttelt, unter die Kiefern-und Birkengewölbe treten. Wirst auch noch in Jahrzehnten, kaum daß die Augen dir zufallen, jene Tannenklötze, Espenklötze sehen, die du, im Schnee versinkend, über Hunderte von Metern zu den Waggons geschleift, an denen du dich festgeklammert, wenn du niederfielst, weil dir bange war, du könntest die einmal verlorenen nicht wieder aus dem Schneebrei hochkriegen.
Es wurden die Katorga-Arbeiten in Rußland jahrzehntelang durch die für Freie erlassene Arbeitssatzung von 1869 in Schranken gehalten. Wer jemanden zur Arbeit beordern wollte, hatte die körperlichen Kräfte des Arbeiters und den Grad seiner Geübtheit zu berücksichtigen (ist’s wirklich zu glauben – heute?!). Der Arbeitstag war im Winter mit 7 (!), im Sommer mit 12,5 Stunden festgelegt. In der grimmen Katorga von Akatui (Jakubowitsch, um und nach 1890) war das Arbeitspensum für jedermann, außer für ihn, leicht zu erfüllen gewesen. Der sommerliche Arbeitstag betrug samt Anmarsch 8 Stunden, sank im Oktober auf 7 und im Winter auf bloße 6 (damals war von den Arbeiterkämpfen um den Achtstundentag noch nicht die Rede!). Was hingegen Dostojewskis Omsker Katorga betrifft, so entpuppt sie sich, wie jeder Leser leicht feststellen kann, überhaupt als faules Herumgelümmel. Ein Arbeiten war es mit Rast, ohne Hast, wie es einem eben paßt, wozu die Obrigkeit auch noch Kittel und Hosen aus weißem Leinen beisteuerte! – Was will man mehr? Wie sagte man doch in unseren Lagern? «Da fehlen bloß noch weiße Kragen», was heißen sollte: Leichter geht es nicht, man könnte glatt die Hände in den Schoß legen. Sie aber trugen – weiße Kittel!
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