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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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geborenen Seki nicht vollends nackt auf dem Archipel ein. Gut und gern kann man sie weiter in ihrem Zeug herumlaufen lassen, besser gesagt, in dem, was ihnen nach der Ausplünderung durch die Sozial-Nahen davon übrigbleibt. Bloß die Markierung fehlt noch; also schneidet man ihnen, genau wie den Hammeln vom Ohr, ein Stück von der Montur ab … Doch weh, das Mitgebrachte hält nicht ewig, von den Schuhen baumelt nach einer Woche im Gestrüpp des Archipels die zerfetzte Sohle herab. Folglich muß man die Archipelager, ob man will oder nicht, einkleiden, unentgeltlich obendrein, denn womit sollten sie bezahlen?
    Irgendwann wird man es auf russischen Bühnen, in russischen Filmen zu sehen bekommen! Die Joppen mit andersfarbigen eingenähten Ärmeln. Die Joppen, an denen man vor lauter Flicken die Grundfarbe nicht mehr erkennen kann; die Feuer -Joppen (die herabhängenden Lumpen züngeln wie Flammen im Wind). Die Flicken auf einer Hose, aus Sackleinwand geschnitten, in die mal ein Paket eingewickelt war: Lange noch kannst du ein Eckchen von der mit Tinte draufgekritzelten Adresse auf dem Flicken lesen.
    An den Füßen aber tragen die Insulaner den bewährten russischen Bastschuh, bloß die festen Fußlappen fehlen. Oder ein Stück Autoreifen; es wird mit einem Draht oder einem Kabel direkt um den nackten Fuß gebunden. (Not macht erfinderisch …)
    Und über alldem werden die grauen Lagergesichter auf der Leinwand erscheinen, mit einem Bronzeschimmer überzogen. Tränende Augen, gerötete Lider. Weiße, gesprungene Lippen, Flechten rund um den Mund. Scheckige Bartstoppeln. Im Winter – eine Sommermütze mit angenähten Ohrenschützern.
    Ich erkenne euch! Ihr seid es, die Menschen vom Stammvolk meines Archipels!

    Doch wie lange der Arbeitstag auch dauern mochte, irgendwann kamen die Leute von der Robot in die Baracke heim.
    Die Baracke? Da und dort ist’s ein Erdloch. Im Norden meist ein Zelt, allerdings mit Erde, bisweilen mit Brettern abgedichtet. Nicht selten gibt’s kein elektrisches Licht darin, sondern nur eine Petroleumlampe, mitunter bloß einen Span oder einen in Lebertran getauchten Wattedocht. In just dieser armseligen Beleuchtung wollen wir uns mal die zertretene Welt besehen.
    Pritschen – in zwei, in drei Reihen übereinander. Holzfaserplatten, Wagonkas – als Zeichen von Luxus. Die Bretter sind, wie schon gesagt, in der Regel nackt: In manchen Außenstellen wird so gründlich gestohlen (und das Gestohlene danach mit Hilfe der Freien verschachert), daß es die Obrigkeit längst aufgegeben hat, irgendwelche Lagersachen zu verteilen, und die Seki – das bißchen Eigentum in den Baracken zu lassen; Eß- und Trinkgeschirr muß zur Arbeit mitgeschleppt werden (sogar das Kleiderbündel wird geschultert – und so geht’s mit dem Spaten aufs Feld), die Decke, so noch vorhanden, bindet sich der Besitzer um den Hals (Großaufnahme!), besser freilich, wenn er einen Bekannten unter den Pridurki hat, dem er sie anvertrauen kann: Deren Baracke wird bewacht. Tagsüber steht die Baracke leer, wie unbewohnt. Am Abend wäre die nasse Arbeitskluft am besten in den Trockenraum zu bringen (den es gibt!) – bloß daß du dich auf den blanken Brettern unbekleidet zu Tode frierst. Drum laß das Zeug lieber am eigenen Leib trocknen. Nachts frieren die Mützen an der Zeltwand fest – bei den Frauen die Haare. Selbst die Bastschuhe werden unterm Kopf versteckt, damit sie einem nicht von den Füßen gestohlen werden (im Burepolom-Lager während des Krieges). Mitten in der Baracke steht ein zum Ofen umgebautes Benzinfaß, ein Glück, wenn es glüht, dann zieht alsbald stickiger Fußlappendunst durch den Raum, aber meistens wollen die nassen Holzscheite nicht brennen. Manche Baracken sind derart mit Insekten verseucht, daß auch eine viertägige Schwefelung nicht viel ausrichtet; wenn Sommer ist, ziehen die Seki ins Freie, die Wanzen kriechen ihnen nach und holen die auf der Erde Schlafenden ein. Die Wäscheläuse hingegen kochen die Häftlinge in ihren eigenen Eßtöpfen zu Tode.
    All dies ist erst im 20. Jahrhundert möglich geworden, nichts davon läßt sich mit den Gefängnischroniken des vorigen Jahrhunderts vergleichen. Sie erwähnen derlei nicht.
    Und auch daran sei erinnert, daß alles oben Gesagte auf ein stationäres, seit mehreren Jahren bestehendes Lager bezogen ist. Doch immer muß irgendwann irgendwer (wer denn, wenn nicht einer vom unglücklichen Sek-Geschlecht?) ein neues Lager eröffnen: in den frostigen

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