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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Nach der Arbeit gab es für die Zuchthäusler von Dostojewskis «Totenhaus» lange Spaziergänge über den Hof, werden sich folglich nicht über Gebühr verdreckt haben in der Fron! Übrigens wollte die Zensur die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus nicht gleich freigeben, weil sie befürchtete, daß die Unbeschwerlichkeit des von Dostojewski beschriebenen Lebens wenig abschreckend wirken würde. Worauf Dostojewski der Zensur zuliebe neue Seiten hinzufügte, auf welchen er den Leser wissen ließ, daß die Katorga trotzdem hart sei. Bei uns gingen nur die Pridurki an den Sonntagen spazieren, aber auch nicht vor aller Augen. – Zu den Aufzeichnungen der Maria Wolkonskaja hinwiederum bemerkt Warlam Schalamow, daß die Dekabristen in Nertschinsk ein Tagespensum von drei Pud Erz pro Mann auferlegt bekamen (achtundvierzig Kilo! – das läßt sich ja auf einmal heben!), während er, Schalamow, an der Kolyma achthundert Pud fördern mußte. Weiter schreibt Schalamow, daß man sie im Sommer manchmal 16 Stunden schuften ließ! Ich weiß nicht, wie es mit diesen sechzehn war, aber 13 Stunden Arbeit bekamen viele zu kosten, ob bei den Erdarbeiten im Kar-Lag, ob beim Holzschlagen im Norden, und wohlgemerkt: 13 Stunden reine Arbeitszeit waren das; die beiden Fußmärsche, hin und zurück je fünf Kilometer, sind darin nicht inbegriffen. Ja, lohnt es sich denn überhaupt, über die Länge des Arbeitstags zu streiten? Die Norm hat allemal Vorrang vor der Arbeitszeit, und wo eine Brigade die Norm nicht schaffte, wurden lediglich die Wachen abgelöst – die Arbeitsleute blieben bis Mitternacht im Wald und hatten vor Morgengrauen grad noch Zeit, sich im Lager Abendessen samt Frühstück zu holen, ehe es wieder waldwärts ging.
    Berichten wird niemand darüber: Sind alle gestorben.
    Und hier eine andere Art, die Norm zu erhöhen, daß ihre Erfüllbarkeit bewiesen sei: Wenn das Thermometer unter minus 50 Grad sank, wurden die Tage abgeschrieben, die Häftlinge, heißt das, mußten nicht zur Arbeit hinaus. Bloß: sie mußten doch, wurden rausgetrieben und ausgepreßt, und was sie dabei leisteten, verteilte die Verwaltung auf die übrigen Tage, wodurch der Prozentsatz stieg. (Und wenn an diesem Tag welche erfroren, schrieb es die dienstbeflissene Sanitätsstelle anderen Anlässen zu. Und wer beim Rückmarsch nicht mehr gehen konnte oder wegen einer gezerrten Sehne auf allen vieren kroch, wurde vom Konvoi niedergeschossen, damit einer nicht die Flucht ergreife, ehe man ihn holen kam.)

    Und was für Futter stand einem dabei zu? Wasser gossen sie in einen Kessel, warfen, wenn’s gut ging, ungeschälte kleine Kartoffeln und ansonsten schwarzen Kohl, Rübenkraut und allerlei Mist hinein. Auch noch Wicke, Kleie, da waren sie nicht knickerig. (Wo’s aber an Wasser mangelte, wie im Lagerpunkt Samarka bei Karaganda, gab es von der Balanda nur einen Napf am Tag und zum Trinken zwei Becher salziges trübes Wasser.) Alles Bessere und Nahrhaftere wird immer und unweigerlich gestohlen, da lauern schon die Natschalniks drauf und die Pridurki und die Kriminellen; die Köche sind eingeschüchtert, wer nicht klein beigibt, ist die längste Zeit Koch gewesen. Da wird gewiß auch irgendwas an Fett, an Fleisch-«Subprodukten» (das bedeutet: kein richtiges Fleisch), an Fisch, Erbsen und Grieß vom Magazin geliefert, doch nur weniges davon kommt in den Kessel. Je schlechter die Lebensmittel waren, desto mehr wurde davon den Häftlingen zugeteilt. Wenn ein ausgemergelter Gaul bei der Arbeit verreckte, konnte sein Fleisch schon mal in die Häftlingsküche gelangen, ein Festmahl war’s, obzwar unzerkaubar.
    Die Normen des GULAG reichen nicht aus, einen Menschen sattzubekommen, der sich dreizehn oder nur zehn Stunden in der Kälte abrackert. Und gänzlich unmöglich ist es, ihn mit den vorher ausgeplünderten Proviantvorräten zu ernähren …

    Wie nun sind unsere Eingeborenen bekleidet und wie beschuht?
    Alle Archipele sind wie sich’s gehört: Blauer Ozean plätschert ringsum, Kokospalmen wachsen in den Himmel und das Habit der Eingeborenen stürzt die Verwaltung nicht in Unkosten – sie laufen barfuß und als halbe Nackedeis herum. Unsern verfluchten Archipel hingegen kann man sich unter einer heißen Sonne gar nicht denken: Immerzu ist er von Schnee bedeckt, immerzu von Stürmen umweht. Da heißt es also auch noch, diesen zehn-bis fünfzehn Millionen großen Häftlingshaufen mit Kleidern und Schuhwerk zu versorgen.
    Zum Glück treffen die auswärts

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