Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
schon würden sie mit Freuden jeden Parteiauftrag akzeptieren, na, sagen wir mal – dieses Lager da leiten. (Und wie es sich erklären, daß all den Beschwerden ein gleichstarker Strom von Absagen entgegenfloß? Ganz einfach: Weil die Briefe nicht bis zu Stalin gelangten. Denn er hätte verstanden! Er hätte verziehen, er, der Barmherzige!)
Hier W. P. Golizyn, der Sohn eines Kreisarztes, Straßenbauingenieur von Beruf. Hundertvierzig Tage und Nächte saß er in der Todeszelle (hat zum Nachdenken Zeit im Überfluß gehabt!). Danach folgten fünfzehn Jahre Lager, schließlich – die ewige Verbannung. «In meinem Kopf hat sich nichts verändert. Bin derselbe parteilose Bolschewik geblieben. Der Glaube an die Partei hat mir geholfen – und daran, daß das Böse nicht von der Partei und Regierung ausgeht, sondern vom bösen Willen irgendwelcher Menschen [die Analyse!], welche kommen und gehen [lassen sich freilich Zeit mit dem Gehen …], während alles andere [!!] bleibt …»
Wozu übrigens dieses ganze Kapitel? Diese lange Übersicht, diese Analyse des Gutdenkertums? Laßt uns statt dessen drei Namen in ellenhohen Buchstaben hinschreiben:
JANOS KADAR, WLADYSLAW GOMULKA und GUSTAV HUSAK.
Sie haben alles durchschritten: die ungerechte Verhaftung, die Folterverhöre, die soundso vielen Jahre in Haft.
Die Welt hat Augen, um zu sehen, ob sie viel begriffen haben. Die Welt hat erfahren, was von ihnen zu halten ist.
12
Geflüster hinter verschlossener Tür
In unserem technisierten Heute springen bisweilen Fotoapparate und Fotoelemente für den Gesichtssinn ein und Mikrofone, Magnetofone und Laserabhörgeräte für das Gehör. In jener Epoche aber, die unser Buch umfassen will, mußte sich die Tscheka-GB zum Sehen und Hören fast ausschließlich der Zuträger bedienen.
Wer nur wenig Erfahrung besitzt und sich nicht ausreichend mit der Sache befaßt hat, wird schwerlich erkennen, in welchem Maße wir von der Spitzelei durchdrungen und umlagert sind. Wie wir ja auch die Vielzahl von Radiowellen nicht spüren, die in Feld und Flur durch uns hindurchströmen, sofern wir ohne Transistor zur Wanderung aufgebrochen sind.
Es fällt schwer, sich an die stetige Frage zu gewöhnen: Wer ist der Zuträger unter uns? Bei uns in der Wohnung, bei uns im Hof, bei uns in der Uhrmacherwerkstatt, bei uns in der Schule, bei uns in der Redaktion, bei uns im Werk, bei uns im Konstruktionsbüro und sogar bei uns in der Miliz. Schwer ist es, sich daran zu gewöhnen, und es geht einem wider den Strich, aber nützlich wär’s doch, der eigenen Sicherheit halber. Es ist unmöglich, die Zuträger zu vertreiben, zu entlassen: Die Organe werben allemal neue an. Aber kennen müßte man sie doch: ganz allgemein – um auf der Hut zu sein, aber auch – um mal einen um den Finger zu wickeln, ihm vorzugaukeln, du seist was andres, als du bist, aber auch – um dich mit ihm offen zu zerstreiten, weil danach seine Berichte über dich ihren Wert verlören.
Die Poesie der Spitzelwerbung harrt noch ihrer Barden. Ein sichtbares Leben gibt es – und ein unsichtbares dicht dabei. Überallhin werden die Spinnfäden gezogen, wir merken gar nicht, wie sie uns umgarnen.
Das Werbeinstrumentarium besteht gleichsam aus einem Satz von Dietrichen: Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 … Nummer 1: Die Frage stellen, ob der Auserkorene sich als Sowjetmensch fühle; Nummer 2: Dem Anzuwerbenden etwas versprechen, wonach er sich auf legalem Wege seit Jahren die Füße wundläuft; Nummer 3: Dem Anzuwerbenden auf eine wehe Stelle treten, ihm mit etwas drohen, wovor er die größte Angst hat; Nummer 4 …
Braucht manchmal auch gar nicht so hart zu sein, der Druck. Ein gewisser A. G. wird vorgeladen, ein Waschlappen, wie man weiß. Es geht sehr schnell: «Schreiben Sie eine Liste von antisowjetisch eingestellten Personen aus Ihrem Bekanntenkreis.» Der Mann, verwirrt, beginnt zu stottern: «Ich weiß nicht recht …» (Nicht, daß er aufgesprungen wäre, mit der Faust auf den Tisch geschlagen hätte: «Was unterstehen Sie sich?!» Wer wagte das bei uns? Wozu die Wunschträume?!) – «Ach, Sie wissen nicht recht? Dann schreiben Sie hin, für wen Sie sich verbürgen, na, daß es durchaus sowjetische Menschen sind. Verbürgen, merken Sie sich’s! Wenn auch nur ein einziger Falscher darunter ist, kommen Sie selber hinter Gitter! Also, was zögern Sie noch?» – «Ich … kann mich nicht verbürgen.» – «Sieh mal an, Sie können nicht? Folglich wissen Sie, daß es Antisowjetler sind.
Weitere Kostenlose Bücher