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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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dennoch unternähme, ein eigenes Buch nur zu diesem Thema zu verfassen, würde, um den Leser und sich selber zu schonen, die Fälle zu Hunderten verpackt abgeben.

15
Die BURs, die SURs, die Strafisolatoren
    Unter den vielen freudigen Verzichten, die die neugeborene Welt uns ankündigte – Nieder mit der Ausbeutung, weg mit den Kolonien und der allgemeinen Wehrpflicht, nieder mit der Geheimdiplomatie, den geheimen Postenbesetzungen und Revirements, nieder mit der Geheimpolizei und dem Religionsunterricht! –, unter dem ganzen prächtigen Zauberfächer des vielfältigen Nieder-mit war freilich der Verzicht aufs Gefängnis nicht zu finden.
    Heute aber fänden es nicht nur die Kerkermeister befremdlich, ohne Karzer auskommen zu müssen – auch die Gefangenen würden nicht schlecht über ein Karzerverbot staunen.
    Wofür kommt ein Sek in den Strafisolator (kurz SchIso genannt)? Für alles Erdenkliche. Dafür, daß er dem Natschalnik in die Quere kam, falsch gegrüßt hat, nicht rechtzeitig aufgestanden, nicht rechtzeitig schlafengegangen ist, sich zum Appell verspätet, den falschen Weg eingeschlagen oder unerlaubt geraucht hat, nicht ordnungsgemäß gekleidet war oder ein Zuviel an Sachen in der Baracke aufbewahrte. Es reicht: Einen Tag Karzer, oder drei, oder fünf bekommst du dafür. Wenn er die Norm nicht erfüllt, mit einem Frauenzimmer überrascht wird – du weißt, was darauf steht: einmal fünf, einmal sieben, einmal zehn Tage. Für die Arbeitsverweigerer gibt es auch fünfzehn. Und obwohl das Gesetz (welches denn?) mehr als fünfzehn Karzertage verbietet (sind ja auch die fünfzehn laut Besserungsarbeitsrecht unzulässig!), dauert das fromme Spielchen bisweilen ein ganzes Jahr. 1932 wurden Selbstverstümmler im Dmit-Lag mit einem Jahr SchIso bestraft! (Awerbach schreibt es, hab’s schwarz auf weiß vor mir liegen.) Da, wie erinnerlich, ein Selbstverstümmler auch nicht verarztet wurde, bedeutete dies nichts anderes, als daß man kranke Menschen in den Karzer steckte, mit schwärigen Wunden, für ein ganzes Jahr!
    Wie muß ein Schlso beschaffen sein? Die Grundanforderungen lauten: a) Kälte; b) Nässe; c) Dunkelheit; d) Hunger. Um dem Genüge zu tun, unterlassen sie das Heizen (laut Lipai sogar dann, wenn draußen 30 Grad minus herrschten), setzen im Winter kein Fensterglas ein, unternehmen nichts gegen die Feuchtigkeit der Mauern (oder verlegen den Karzer in einen nassen Keller). Sie füttern die Karzerbestraften mit der Stalinschen Ration, das sind 300 Gramm Brot täglich, «warme Kost» – dünne Balanda – gibt es nur an jedem dritten, sechsten, neunten Tag. An der Workuta-Bahn gab es allerdings nur 200 Gramm Brot und statt der «warmen Kost» an jedem dritten Tag ein Stück rohen Fisch. Irgendwo dazwischen stelle sich der Leser den Durchschnittskarzer vor.
    Der Naivling denkt sich einen Karzer stets als eine Art Zelle: mit einem Dach, einer Tür, einem Schloß. Nichts dergleichen! In Kuranach-Sala war der Karzer bei 50 Grad Kälte ein verwittertes Blockhaus. (Der freie Arzt Andrejew: «Als Arzt erkläre ich, daß man in solch einem Karzer sitzen kann !») Wenn wir nun einen großen Sprung über den ganzen Archipel machen, entdecken wir an der Workuta-Bahn 1937 einen Karzer für Arbeitsverweigerer, der eine Bretterbude ohne Dach war – und daneben einfache Gruben. Arnold Rappoport hauste in einer solchen wie Diogenes im Faß (spannte als Regenschutz irgendeinen Fetzen darüber).
    Im Lager von Mariinsk (wie selbstverständlich in vielen anderen auch) hing an den Wänden des Karzers Schnee – trotzdem mußten sich die Eingelieferten bis auf die Unterwäsche ausziehen.
    Als BUR – Baracke mit verschärftem Regime – kann auch die einfachste Baracke dienen, mit einem eigenen Stacheldrahtverhau rundherum; wer drinsitzt, wird für die schwersten und unangenehmsten Arbeiten eingeteilt, die dieses Lager zu bieten hat. Mitunter aber verfügt das Lager über ein mit allen Kerkerattributen versehenes echtes Gefängnis aus Mörtel und Stein; da wird man einzeln aus den Zellen herausgeholt und im Aufseherzimmer geprügelt (damit keine Spuren zurückblieben, nahmen sie am liebsten Filzstiefel, mit Ziegelsteinen drin); da gibt es Riegel, Schlösser und Gucklöcher in jeder Tür; Betonboden in jeder Zelle und schließlich – einen eigenen Karzer für die BUR-Gefangenen.
    Wer wurde in die Strafzonen geschickt? Mit besonderer Vorliebe: Gläubige, Widerspenstige und Kriminelle (ja, Kriminelle, denn das gewaltige

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