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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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zupaß. Und auch für jede Art Arbeit mit Spitzhacke und Schaufel – in der Blütezeit des zwanzigsten Jahrhunderts. Und für die Errichtung der Großbauten des Sozialismus, solange die wirtschaftlichen Mittel dazu fehlten.
    Beim großen Weißmeer-Ostsee-Kanal war sogar der Kraftwagen eine Rarität. Alles wurde, im Lagerjargon gesprochen, mit Furzdampf gemacht.
    Beim noch größeren Moskwa-Wolga-Kanal (der an Arbeitsumfang den WeißmeerKanal um ein Siebenfaches übertraf und mit dem Panama-beziehungsweise Suez-Kanal am ehesten zu vergleichen wäre) wurden 128 Kanalbettkilometer ausgeschaufelt, mehr als 5 Meter tief und am oberen Rand 85 Meter breit – und es gab dafür fast durchweg nur Hacken, Spaten und Schubkarren. Das künftige Becken des Rybinsker Stausees war mit dichtem Wald bedeckt, er wurde von Hand gerodet, von Elektrosäge keine Spur, und was dann noch an Ästen und Reisig liegenblieb, mußten Vollinvalide verbrennen.
    Wer hätt sich denn, außer den Häftlingen, bereitgefunden, zehn Stunden täglich im Wald zu schuften, mit einem Anmarschweg von sieben Kilometern, frühmorgens noch in der Dämmerung und spätabends in der Dunkelheit zurückzulegen, bei Frösten von dreißig Grad und ohne freie Tage das ganze Jahr, den 1. Mai und den 7. November ausgenommen? (Wolga-Lag, 1937)
    Wer hätt ihnen denn, außer den Eingeborenen, die Baumstümpfe im Winter gerodet? im Tagbau an der Kolyma das gewonnene Erz auf Rückentragen abgeschleppt? die gefällten Stämme auf niedrigen finnischen Schlitten durch tiefen Schnee einen Kilometer weit zum Koïn (einem Nebenfluß der Wym) gezogen, zu zweit ins Joch gespannt (dessen Bügel der Härte wegen mit Fetzen aus zerschlissenen Kleidungsstücken umwickelt wurden, bevor sie einem Lastmann über die Schulter kamen)?
    Es will uns allerdings der schreibbefugte Journalist Jurij Schukow weismachen, daß es den Komsomolzen beim Bau der Stadt Komsomolsk am Amur ähnlich erging (1932): Da habe man ebenfalls ohne Äxte, ohne Schmiede gewerkt und habe kein Brot bekommen und sei an Skorbut gestorben. Und wild begeistert zeigt er sich darob: Ach, waren das heroische Zeiten! Ob’s aber nicht passender wäre, sich zu empören: Wer war es, der sein Volk so wenig liebte, daß er sie hingeschickt hat, auf diese Weise zu bauen?
    Und wie sollen da die Lager wirtschaftlich unrentabel gewesen sein? …
    Lesen Sie nur in Poboschijs «Tote Bahn» nach, da finden Sie sie, die Beschreibung des Löschens von Leichterschiffen am Tas-Fluß, diese polare Ilias der Stalinschen Epoche: Da schleppen sie, die Sek-Ameisen, von uniformierten Ameisen bewacht, Tausende von abgeladenen Baumstämmen durch die öde Tundra, wo vor ihnen kein Mensch seinen Fuß hingesetzt, und bauen Ankerplätze, und verlegen Schienen, und ziehen Waggons in diese Tundra und Loks, denen es niemals beschieden sein wird, aus eigenem Antrieb wieder heimwärts zu rollen. Die Seki schlafen fünf Stunden am Tag auf der mit Tafeln abgesteckten nackten Erde – «Zone» steht darauf.
    Derselbe Poboschij beschreibt weiter, wie die Häftlinge durch die Tundra eine Telefonleitung legen: Sie leben in Hütten aus Sträuchern und Moos, die Mücken zerstechen ihre ungeschützten Körper, der Sumpfschlamm klebt an den Kleidern, die Schuhe werden erst recht nicht trocken. Das Gelände ist schlecht erkundet, bei der Planung wurde geschludert (und es wird das Ganze später umgemodelt werden müssen), für die Telegrafenstangen gibt es im weiten Umkreis keine Bäume, ein Fußmarsch ist es von zwei, drei Tagen(!) bis zum Wald, von dort schleppen sie die Stämme herbei.
    Es fand sich kein zweiter Poboschij, uns zu erzählen, wie vor dem Krieg eine andere Eisenbahn, die Strecke von Kotlas nach Workuta, gebaut wurde: Zwei Menschenleben blieben unter jeder Schwelle.
    Ja, wer hätt denn alles ohne Häftlinge gebaut?! Und da sollen – wie kann das angehen? – die Lager nicht gewinnbringend sein?
    Eine andere Sache war die Unkostendeckung. Danach stand dem Staat schon lange der Appetit. Groß, sehr groß war also der Wunsch nach Lagerbesitz – ja, und daß uns die Dinger nichts kosten! Seit 1929 wurden alle Besserungsarbeitsanstalten des Landes in die Volkswirtschaftspläne einbezogen.
    Doch sosehr sie sich auch mühten und ereiferten, sich die Finger an den Felsen wundkratzten, jeden Vollzugsbericht zwanzigmal korrigierten, lauter Löcher hineinradierten – die Unkostendeckung war auf dem Archipel nicht zu erreichen und wird es niemals sein! Die

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