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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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mit Millionen Bauern schieden über Nacht aus dem Kolchoszwangssystem aus, und – genug endlich der Lüge und Geschichtsretuschierung! – es stellte sich heraus, daß die Republiken nichts anderes wollten als Unabhängigkeit! die Bauern nichts anderes als Freiheit von den Kolchosen! und die Arbeiter die Abschaffung der Fron-Ukasse!
    Doch jetzt – es läßt sich nicht mehr aufschieben – müssen auch jene erwähnt werden, die schon vor dem Jahre 41 keinen anderen Wunsch hatten, als diese roten Kommissare, Tschekisten und Kollektivierer mit der Waffe in der Hand zu jagen ! Wie heißt es doch bei Lenin: «Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach strebt, die Waffen handhaben zu lernen und Waffen zu besitzen, ist nur wert, als Sklave behandelt zu werden.» Nun denn, zu unserer Ehre hat der sowjetisch-deutsche Krieg gezeigt, daß wir nicht ganz das hoffnungslose Sklavenvolk sind, als das wir in sämtlichen liberalen Geschichtswerken geschmäht wurden: Es hat sich noch freier Geist in uns geregt, als wir den Säbel ergriffen und nach Väterchens Kopf ausholten (und freier Geist hat sich auch diesseits der Linien geregt, im einfachen Rotarmistenmantel – diese komplexe Form kurzer Freiheit ließ sich soziologisch nicht vorhersagen).
    Diese Menschen, die am eigenen Leib vierundzwanzig Jahre kommunistisches Glück zu spüren bekommen hatten, wußten 1941 bereits, was noch niemand in der Welt wußte: daß es auf dem ganzen Planeten und in der ganzen Geschichte kein bösartigeres, blutrünstigeres und gleichzeitig raffinierteres Regime gibt als das bolschewistische, welches sich selbst «sowjetisches» nennt; daß ihm weder an Vernichtungseifer noch an Beharrungsvermögen, noch an radikaler Zielsetzung, noch an durch und durch «unifizierter Totalitarität» irgendein anderes irdisches Regime gleichkommt, nicht einmal das schülermäßige Hitlerregime, welches damals dem gesamten Westen den Blick trübte. Und nun war der Augenblick gekommen, diese Menschen bekamen die Waffe in die Hand gedrückt – ja, hätten sie sich wirklich verleugnen sollen, hätten sie denn zulassen sollen, daß der Bolschewismus seine Schicksalsstunde überlebt und wieder in grausamer Unterdrückung erstarkt – und erst dann den Kampf gegen ihn aufnehmen (der auch heute noch fast nirgendwo in der Welt aufgenommen worden ist)? Nein, es war nur natürlich, die Taktik zu wiederholen, die der Bolschewismus selbst praktiziert hatte, als er sich in den vom Ersten Weltkrieg geschwächten Körper Rußlands verbiß, und jetzt, in ähnlicher Situation, dem Regime zu Leibe zu rücken.
    Die sowjetische Bevölkerung lebte bis 1941 in der natürlichen Vorstellung: Eine fremde Invasion bedeutet Sturz des kommunistischen Regimes, für sie konnte eine solche Invasion keinen anderen Sinn haben. Sie erwartete ein politisches Programm, das sie vom Bolschewismus befreien würde.
    Wie hätten wir, durch sowjetische Propaganda und deutsche Armeen vom Westen abgeschnitten, ohne weiteres glauben sollen, daß es den westlichen Verbündeten in diesem Krieg nicht um die Freiheit an sich, sondern nur um ihre westeuropäische Freiheit ging, daß sie nur gegen den Nazismus kämpften und, was das Sowjetregime betraf, nicht mehr wollten als seine Armeen möglichst geschickt für sich ausnutzen! War es denn nicht natürlicher zu glauben, daß sich unsere Verbündeten zur Freiheit als einem allgemeingültigen Prinzip bekannten und uns daher nicht unter einer Tyrannei lassen würden, die ärger war als die nazistische? Allerdings waren es dieselben Verbündeten, die bereits im Ersten Weltkrieg, als wir ebenfalls für sie bluteten, unsere Armee im Stich gelassen und sich in ihr Wohlsein zurückgezogen hatten. Doch diese Erfahrung war zu bitter gewesen, das Herz hatte sich nicht belehren lassen. Und schließlich folgten 1943 Zehntausende von Flüchtlingen aus den sowjetischen Gebieten der zurückweichenden deutschen Armee – um nur nicht wieder unter kommunistische Herrschaft zu kommen.
    Ja, ich wage zu behaupten: Keinen Heller wäre unser Volk wert, ein Volk hoffnungsloser Fronknechte wäre es, wenn es in diesem Krieg versäumt hätte, wenigstens aus der Ferne den Gewehrkolben gegen die Stalinregierung zu schwingen und nach dem Kopf des geliebten Vaters auszuholen. Die Deutschen hatten eine Verschwörung der Generäle – und wir? Unsere Generäle waren (und sind es auch heute) nichtswürdig, korrumpiert von Parteiideologie und persönlichem Vorteilsstreben, und hatten nichts von

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