Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
gerechterweise einmal anerkennen, daß jene, die wir vernichten, das Recht haben, uns zu hassen? Oder etwa nicht, haben sie nicht das Recht? Haben sie in Dankbarkeit zu sterben?
Wir schreiben diesen Polizais und Bürgermeistern einen eingewurzelten, geradezu angeborenen Haß zu – aber diesen Haß haben wir selbst in ihnen gesät, das sind ja unsere «Produktionsabfälle». Wie hat es Krylenko formuliert? «In unseren Augen ist jedes Verbrechen ein Produkt des jeweiligen sozialen Systems.» Eures Systems, Genossen! Man soll sich die eigene Lehre merken!
Vergessen wir schließlich nicht, daß es unter jenen Landsleuten, die das Schwert gegen uns zückten und Reden gegen uns hielten, auch völlig Unbelastete gab, die selbst keinen Besitz verloren hatten (weil sie nichts besaßen), die selbst nicht im Lager gesessen hatten, nicht einmal ihre Angehörigen, die aber schon lange unter dem ganzen System litten, unter der Verachtung des Einzelschicksals, unter der Verfolgung der persönlichen Überzeugung, unter dem Hohn jener Liedzeile:
«wo so frei das Herz dem Menschen schlägt»,
unter der bigotten Verehrung des Großen Führers, unter den verlogenen Staatsanleihekampagnen, unter dem Beifall, der in Ovationen übergeht! Können wir denn wirklich annehmen, daß es diese normalen Menschen nach unserer Moderluft verlangte? (Dem Geistlichen Fjodor Florja wurde im Untersuchungsverfahren vorgeworfen, er hätte es gewagt, den Rumänen von den Stalingreueln zu erzählen. Er antwortete: «Was hätte ich sonst von euch erzählen können? Ich habe gesagt, was ich wußte. Ich habe gesagt, was war.» Nach unserer Auffassung hast du zu lügen und zu heucheln, und kannst dann krepieren – Hauptsache, uns nützt es! Aber das ist doch, scheint’s, kein Materialismus mehr, wie?)
Die Menschen sind zu emotionsloser, gefühlsneutraler Erkenntnis fast nicht fähig. In dem, was sie als schlecht erkannt haben, auch das Gute zu sehen, das fällt ihnen ungemein schwer. Nicht alles in unserem Leben war abscheulich, und nicht jedes Wort in unseren Zeitungen war Lüge – doch diese verlorene, eingeschüchterte, von Spitzeln belagerte Minderheit empfand das Leben im Land ausschließlich als Abscheulichkeit und die Zeitungsspalten ausschließlich als Lüge.
Nach der Stadt nun auch ein paar Worte über das Land. Die heutigen Liberalen neigen dazu, der Landbevölkerung politische Stumpfheit und Konservativismus vorzuwerfen. Doch die gesamte Landbevölkerung der Vorkriegsjahre dachte nüchtern, unvergleichlich nüchterner als die Stadtbevölkerung, die Vergötterung Väterchen Stalins (und desgleichen der Weltrevolutionskult) wurde von den Bauern in keiner Weise mitgemacht. Sie hatten sich einfach den gesunden Verstand bewahrt und erinnerten sich sehr gut, wie man ihnen das Land versprochen und wie man es ihnen genommen hatte; um wie viel besser sie vor der Einführung der Kolchosen gelebt hatten; wie man ihnen Kälber, Schafe, sogar Hühner vom Hof getrieben hatte; wie man die Kirchen entweiht und geschändet hatte. Damals schwatzte noch nicht das Radio in jedem Bauernhaus, und Zeitungen las im Dorf, und das nicht in jedem, bestenfalls ein «Gebildeter», und alle diese Tschang Tso-lins, Macdonalds und Hitlers waren für die russischen Bauern unterschiedslos fremde und unnütze Dummköpfe.
In einem Dorf im Gebiet Rjasan versammelten sich am 3. Juli 1941 die Bauern bei der Schmiede, um die Rundfunkansprache Stalins zu hören. Und als das sonst so eiserne und russischen Bauerntränen gegenüber so unerbittliche Väterchen auf einmal durchdrehte und mit tränenerstickter Stimme anhub: «Brüder und Schwestern!» – da antwortete ein Bauern dem schwarzen Pappemaul:
«Na, du Hund, hast dazu keine Lust?» und machte zum Lautsprecher hin eine beliebte derbe russische Geste, indem man mit der Handkante in die Armbeuge schlägt und dabei den Unterarm schüttelt.
Die Muschiks lachten dröhnend.
Würden wir in allen Dörfern umfragen und alle Augenzeugen befragen, wir könnten zehntausend solcher Episoden erfahren und mehr.
Das war bei Ausbruch des Krieges die Stimmung der russischen Landbevölkerung – und folglich auch jener Reservisten, die auf der Bahnstation vor der Abfahrt an die Front die letzte Wodkaflasche leerten und im Staub mit ihren Angehörigen tanzten. Und dazu brach eine militärische Niederlage herein, wie sie Rußland seit Menschengedenken nicht erlebt hatte, riesige ländliche Räume bis zu den beiden Hauptstädten und zur Wolga
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